Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Colonel Ridgeway mit einer Wagenladung Frauen und verschwand mit den Kellnern hinterm Haus, um hinter den Mülleimern riesige Spliffs zu rauchen.
V.S. Naipaul war da, zusammen mit Hodding Carter und General Jack »Promotable« Farris und einer jungen Frau, die sich für das Ausklappfoto des australischen Playboy fotografieren ließ. Farris wollte aus Imagegründen nicht nach drinnen kommen und blieb deswegen einfach in seinem Jeep sitzen und betrachtete das heitere Treiben aus der Ferne, empfand Freude im Herzen und fühlte sich endlich ganz und gar frei von Furcht vor militärischen Fehlschlägen und sonstigen Peinlichkeiten. Zum Glück blieb ihm dabei erspart zu sehen, wie sein wichtigster Mann, Jim Ridgeway, hinter dem Haus bei den Mülltonnen mit den Rastas zusammenstand.
Das war ein Krieg nach unserem Geschmack. Und als dann schließlich jemand Morgan fragte, wo er herkäme, und der sagte, er habe das vergangene Jahr oder so in der Irrenanstalt da
oben auf dem Berg in der Nähe von Fort Frederick verbracht, lachten die Leute und bestellten noch eine Runde. »Der gute alte Morgan«, sagten sie. »Der ist echt ein verrückter Hund.«
Was ja stimmte, oder zumindest amtlich belegbar war. Doch in dieser Situation verspürte niemand den Wunsch, genauer zu ergründen, wer denn nun verrückt war und wer nicht. Damit mochte sich hier unten niemand abgeben. Diese ganze Geschichte war von Anfang an irre. Menschen kämpften und starben auf dieser Insel, und die Gründe dafür wurden nie geklärt – und werden es wohl auch nicht werden, bevor Bernard Coard vor Gericht steht.
Das wird dann irgendwann gegen Frühjahr 1988 geschehen, wenn die Presseleute längst wieder ganz woanders beschäftigt sind. Sein Anwalt wird Ramsey Clark sein, der ehemalige Justizminister der Vereinigten Staaten; die Anklage wird die Königin von England vertreten, und unter denen, die bei Strafandrohung vorgeladen sind, werden sich Fidel Castro befinden, der Direktor der CIA, der damalige russische Botschafter auf Grenada, mehrere Mitglieder der Vigorese-Familie aus Marseilles und eine ganze Horde bewaffneter Dumpfbacken, angefangen bei internationalen Trotzkisten bis zu wild gewordenen Huren aus Trinidad und Mini-Moke-Verkäufern aus Paris und gemeingefährlichen Strauchdieben in Uniform, die .45er mit Perlmuttgriff bei sich tragen.
Der Prozess gegen Bernard Coard – den Mann, der die Revolution notzüchtigte, um sie zu retten – wird in gewissen Kreisen nicht unbeachtet bleiben.
Bis jetzt gibt es keine Anklagepunkte, aber die Vermutungen reichen von Mord und Landesverrat bis zu widerrechtlicher Verschwörung und Verbrechen gegen die Krone. Sicher wissen wir nur, dass Bernard Coard – Stellvertretender Premierminister in den letzten Tagen des Regimes von Maurice Bishop – als Schlüsselfigur die rätselhaften und grausamen Vorgänge aufklären kann, zu denen es hier im Herbst 1983 gekommen ist.
Bernard Coard vorm Exekutionskommando auf Grenada, Winter 1984 (United Press)
Es war eine seltsame Zeit, in der es zu einer Kette hochgradig abartiger Ereignisse kam. Die U.S.-Marines marschierten ein; eine sanfte und weithin populäre marxistische Revolution karibischer Prägung zerstörte sich selbst in einem plötzlichen Ausbruch wahnhafter Gewalt; ein Ort, der ebenso leicht von einer Bande Hell’s Angels hätte gestürmt und erobert werden können, wurde überfallen von den Rangers und den U.S.-Marines und der 82. Luftlandedivision und der Militärpolizei und der U.S.
Navy und Blackhawk-Helikoptern und Psy-Ops und Nachtsichtgeräten und Natodraht und unablässigen mörderischen Explosionen und nackten Frauen, die mit Maschinengewehren herumfuchtelten.
Wir haben Grenada erobert. Das verstand sogar Morgan. Er hatte sich in einer Zelle in Block B befunden, als die ersten Bomben einschlugen. Er ist ein Mulatte, der aussieht, als wäre er ungefähr vierzig Jahre alt. Er hat langes blondes Haar und trägt ein rotes Stirnband. Seine Ausstrahlung hat etwas von Woodstock. Morgan sieht aus, als sei er im Sommer ’67 an der Ecke Haight und Ashbury wiedergeboren worden. Er habe ganz friedlich in seiner Zelle gesessen und darauf gehört, wie die anderen Insassen beim Geräusch der niedrig fliegenden Düsenjäger aufheulten und in verzweifelter Furcht brabbelten, als »plötzlich die ganze Anstalt explodierte«, erzählte er. Und danach floh er.
Ich wollte bis zum Begräbnis von Maurice Bishop auf Grenada bleiben. Es war für Sonnabend
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