Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Schwäche. Sie ist Teil eines natürlichen Mechanismus der Selbstverteidigung und Katzen, Wölfen, Hyänen sowie den meisten Menschen eigen. Sogar Flughunde kennen Furcht, und dafür bekunde ich ihnen meine Hochachtung. Wenn ihr meint, dass die Welt heutzutage irre ist, stellt euch bloß vor, wie irre sie wäre, wenn die wilden Tiere keine Angst hätten.
Und so ähnlich versuchte diese Frau aufzutreten, als sie an jenem verhängnisvollen Februarabend in mein Haus kam. Sie stolzierte umher, und die Art, wie sie von Zimmer zu Zimmer wanderte,
machte mich nervös. Sie war allem Anschein nach dem Sexbusiness entflohen – eine Möchtegern-Promoterin von Sexhilfen & erstklassiger Organvergrößerung … das war, im Kern, ihr Geschäftsplan, und den wollte keiner hören.
»Schnauze jetzt!«, schrie Semmes. »Merkst du denn nicht, dass wir uns ein verdammtes Basketballspiel ansehen?«
Sie ignorierte ihn und quasselte weiter. »Welche Art Sex mögen Sie?«, fragte sie mich. »Warum wollen Sie denn nicht mit mir sprechen?«
Ich bin von Haus aus kein Krimineller , hab aber im Laufe der Jahre das Nervenkostüm eines solchen entwickelt. Manche Leute mögen es Paranoia nennen, aber ich lebe inzwischen lange genug, um zu wissen, dass es so etwas wie Paranoia nicht gibt. Nicht im 21. Jahrhundert. Nein. Paranoia ist nur ein anderes Wort für Ignoranz.
So etwas wie Paranoia existiert nicht
Fliegen sitzen vielleicht auf dir und mir, aber auf Jesus sitzen keine.
Hunter S.Thompson
Seltsame Gelüste und schreckliche Erinnerungen
Mein Vater hatte die Neigung, mit finsterer Miene dicht am Radio zu hocken, wenn die Tagesnachrichten Übles verkündeten. Zusammen hörten wir uns die ersten Nachrichten über Pearl Harbor an. Ich verstand nichts, wusste aber, dass es schlimm war, denn ich wurde Zeuge, dass er zwei oder drei Tage hintereinander zusammengekauert wie eine Spinne dasaß. »Verdammt sollen sie sein, diese hinterlistigen Japse«, grummelte er von Zeit zu Zeit. Dann trank er Whiskey und drosch auf die Sofalehne ein. Niemand sonst von unserer Familie wollte in seine Nähe, wenn er sich die Kriegsnachrichten anhörte. Gegen den Whiskey hatten sie nichts einzuwenden, aber das Radio war für sie zunehmend mit Gefühlen von Angst und Wut verbunden.
Ich war da anders. Dem Radio zu lauschen und dabei Whiskey zu schlürfen war für mich der Höhepunkt des Tages, und schon bald wurde ich süchtig nach diesen Momenten. Sie waren zwar nie besonders erfreulich, aber doch immer aufregend. Es hatte etwas Vehementes und Ungezügeltes und löste einen sonderbaren Adrenalinstoß aus, einen Anflug von Schuld und Geheimnis und irgendwie geheimer Freude. Ich kann mir das noch immer nicht erklären, aber schon im neugierigen Alter von vier Jahren wusste ich, dass es sich um eine spezielle Neigung handelte, die ich ausschließlich mit meinem Vater teilte. Wir machten nicht viel Aufhebens davon und spürten auch nicht das dunkle Bedürfnis zu beichten. Absolut nicht. Es machte Spaß, und ich erinnere mich noch immer gern an die Stunden, in denen wir nebeneinander vor dem Radio kauerten, mit unserem Whiskey und unserem Krieg und der Furcht, dass die bösen Japse uns hinterrücks überfallen könnten …
Ich sehe es so, dass die Furcht meine Freundin ist, aber auch nicht immer. Kehre der Furcht nie den Rücken zu. Sie sollte sich
immer vor dir befinden wie etwas, das vielleicht getötet werden muss. Das hat mir mein Vater beigebracht und dazu noch ein paar andere Dinge, die dafür gesorgt haben, dass mein Leben interessant blieb. Wenn ich jetzt an ihn denke, fallen mir schnelle Pferde ein und grausame Japse und verlogene FBI-Agenten.
(HST Archiv)
»So etwas wie Paranoia existiert nicht«, sagte er mir einmal. »Selbst deine schlimmsten Ängste werden wahr, wenn du ihnen nur lange genug nachjagst. Sei auf der Hut, mein Sohn. Ärger lauert da draußen in der Dunkelheit, da kannst du todsicher sein.
Wilde Bestien und grausame Menschen, und einige von ihnen werden dir an die Gurgel gehen und versuchen, dir den Kopf abzureißen.«
Eine harte Lebensweisheit, um sie einem zehnjährigen Jungen zu verpassen, aber rückblickend meine ich, dass es richtig war, sie auszusprechen, und als wahr hat sie sich definitiv auch erwiesen. Ich bin in meinem Leben oft in jene Dunkelheit gewandert, und zwar aus vielen seltsamen Gründen, die zu erläutern ich immer noch meine Schwierigkeiten habe, und ich könnte so schlimme und blutrünstige Geschichten erzählen
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