Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Überzeugung, und ich brachte es fertig, mir einen jener Schlagstöcke lange genug vom Leib zu halten, um in die Lobby abzutauchen … aber es mussten erst mehrere Tage oder gar Wochen vergehen, bis mir klar wurde, dass diese Bullen tatsächlich vorhatten , mich niederknüppeln zu lassen. Nicht mich persönlich, aber MICH als Teil des »Feindes«, als Teil einer Masse »Agitatoren von außerhalb«, die mit einer Mission nach Chicago gekommen waren, der die Cops in ihrer Ignoranz nur Angst und Hass entgegensetzen konnten.
Das war es, was mich zittern und beben ließ, als ich schließlich hinter der abgeschlossenen & verriegelten Tür meines Hotelzimmers saß. Es war nicht die Furcht, verprügelt oder ins Gefängnis geworfen zu werden, sondern der langsam aufkommende Schock, plötzlich zu begreifen, dass es nicht mehr länger damit getan sein würde, meine öffentliche Funktion darzulegen. Diese Hundesöhne wussten um meine Funktion, und trotzdem wollten sie mich niederknüppeln. Es kümmerte sie einen verdammten Scheißdreck, dass mir als Pressevertreter vom Democratic National Committee eine spezielle Zugangsberechtigung gewährt worden war; es scherte sie nicht im Geringsten, dass ich als zahlender Gast – bei unmoralisch überhöhten Preisen – nach Chicago gekommen war und nicht die Absicht hatte, auch nur irgendjemandem die geringsten Schwierigkeiten zu machen.
Und genau darum ging es. Gerade meine Unschuld machte mich schuldig – oder zumindest zu einem potenziellen Unruhestifter in den Augen der durch und durch korrupten und gewissenlosen Kotzbrocken, die den Parteikongress unter ihrer Fuchtel hatten: Richard J. Daley, Bürgermeister von Chicago, und Lyndon Baines Johnson, damaliger Präsident der Vereinigten Staaten. Diese Drecksäue kümmerte es nicht, was rechtens war. Ihnen ging es nur darum zu bekommen, was sie wollten, und sie waren mächtig genug, um jeden kleinzukriegen, dem in den Sinn kam, sich ihnen in den Weg zu stellen.
An dieser Stelle möchte ich, bevor ich es vergesse, auf einen meiner Meinung nach kritischen Punkt der gesamten Protestbewegung der 1960er hinweisen. Es scheint mir so zu sein, dass jeder öffentliche Protest – jede öffentliche Meinungsverschiedenheit mit der Regierung, »dem System« oder »dem Establishment«, gleich welcher Art – auf der Prämisse basiert, dass die Leute, die zu bestimmen haben über das, wogegen man protestiert, auch tatsächlich zuhören, und dass sich etwas ändert, wenn man den Protest richtig ansetzt und durchzieht. Norman Mailer hat diesen Gedanken schon vor langer Zeit angesprochen, als er
sagte, die Wahl von JFK habe ihm zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl vermittelt, tatsächlich mit dem Weißen Haus kommunizieren zu können. Sogar im Hinblick auf Leute wie Johnson und Mac Bundy – oder auch Pat Brown oder Bull Connor – stand als vernunftmäßige Erklärung hinter all den heftigen öffentlichen Protesten die Erwartung, dass unser Krakeelen wahrgenommen würde und dass jemand von den Mächtigen aufhorchte und hinhörte und zumindest unseren Protest gegen deren politische Realitäten abwog … auch wenn diese Leute sich weigerten, mit uns zu reden. Letztendlich war also an sich schon der Akt öffentlichen Protests, sogar in Verbindung mit Gewalt, vom Kern her optimistisch und eine Demonstration des Vertrauens (vorwiegend unterbewusst, vermute ich) in die Vaterfiguren, die Macht genug besaßen, die Dinge zu verändern – wenn sie erst einmal angestoßen wurden, das Licht der Vernunft oder auch nur das der politischen Realität zu erkennen.
Das haben die Hundesöhne eben nie verstanden – dass die »Bewegung« an sich Ausdruck eines festen Glaubens an den Amerikanischen Traum war, dass die Leute, gegen die sie »kämpften«, nicht die grausamen und zynischen Bestien waren, die sie zu sein schienen, sondern dass sie tatsächlich nur eine Schar von Menschen wie jedermanns verdrossene Mittelklasseväter waren, die man nur ein wenig aufrütteln musste, um sie aus ihren schlechten Gewohnheiten zu reißen und aus ihren trägen, kurzfristig orientierten und profitbezogenen Lebenseinstellungen zu lösen … und dass sie, sobald sie begriffen hatten, ganz bestimmt das Richtige tun würden.
Die Bereitschaft zur Diskussion, wie heftig sie auch immer geführt wird, impliziert ein gewisses Grundvertrauen in den Widersacher, die Unterstellung, dass er weiterhin offen ist für vernünftige Argumente und, wenn alles andere erfolglos
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