Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
dass es dort Bier und Essbares gibt. Während Geerlings sich mit irgendwelchen Deutschen anlegte, ging ich nach hinten auf die Toilette. Wir reden hier von einem Holzverschlag – hinter der Avenida Copacabana fangen gleich die favelas an den Berghängen an. Die Berge fallen steil ab, hundertfünfzig bis zweihundert Meter, hinter jedem Gebäude lauert der Dschungel. Da stand ich also, pisste, weil ich eben pissen musste, auf einem baufälligen südamerikanischen Männerklo, das sogar ein Fenster hatte, vor dem inmitten von Gebüsch und Bäumen der Müllplatz war. Mir ging so gut wie gar nichts durch den Kopf bis auf die Überlegung, was Geerlings wohl gerade den Deutschen antun mochte. Ich hatte nicht vor, ihn auf irgendeine Weise zu hindern, diese Leute zu verprügeln. Ich hoffte nur, dass er vorsichtig war. Ich wollte unbedingt vermeiden, dass man mich seinetwegen einbuchtete.
Ich blickte zum Fenster hinaus: öde Dunkelheit, Mülleimer und direkt vor mir, höchstens einen Meter entfernt, ein riesenhafter gelb und schwarz gefleckter Jaguar, eins fünfzig, vielleicht sogar zwei Meter lang, vielleicht eins fünfzig ohne Schwanz. Eine echt große Raubkatze.
Ich dachte nur: Scheiße, was soll denn das jetzt? In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie ein solches Untier gesehen. Gnädige Götter! Da musste ich erst nach Marigoso kommen, um Raubkatzen auf Armlänge vor mir zu haben. Ich war perplex. Ich sah das Tier genauer an. Es trieb sein beschissenes Spiel mit mir. Es machte fast kein Geräusch. Ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn einer der Jungs herausgekommen wäre und Müll in eine der Tonnen geworfen hätte. Das Vieh war riesig. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, aber ich ging zurück durch die Bar und sah gleich als Erstes Geerlings: Er hatte einen Nazi, dessen Wange halb weggerissen war, bei den Eiern gepackt und an einer Telefonzelle in die Höhe gedrückt. Er scherzte nicht – wir mussten dringend von hier verschwinden.
Ich sagte: »Verfluchte Scheiße. Du wirst mir nicht glauben. Während du hier draußen rumgesessen bist, um dich mit den Deutschen zu vergnügen, bin ich auf dem Klo gewesen, und da war diese Jaguarkatze direkt vor mir, vorm Fenster.«
»Ach komm, erzähl doch nichts«, sagte Geerlings.
Am nächsten Abend nahm ich die kleine Automatik mit, eine billige .25er. Ich hatte sie durch ganz Südamerika bei mir getragen, meistens geladen. Warum sollte ich auch eine Waffe mit mir rumschleppen, die nicht geladen ist? Ich hängte sie mir an einem Band um den Hals – es war einfach zu heiß, um sie an einer anderen Stelle zu tragen.
»Also gut, Geerlings«, sagte ich. »Ich werd es dir beweisen. Wir fahren noch mal hin und holen uns diesen tigre .«
Ich lud meine Waffe, und wir fuhren in die Bar und setzten uns auf denselben Platz. Geerlings legte sich wieder mit irgendwelchen Deutschen an. Der tigre tauchte nicht auf. Wie oft kann man schon aufs Männerklo gehen? Viel Sinn sahen wir in alledem nicht. Den Jaguar schlugen wir uns aus dem Kopf. Dann machten wir uns auf eine Tour durch die diversen Nachtclubs –
nach der Enttäuschung waren wir reif für eine Hundequälerei. Es ging um Action. Es war nichts los, und der Frust hatte sich angestaut. Das und nichts anderes löste sie aus – die Explosion. Wäre die Raubkatze aufgetaucht, hätten die beiden Jungs nichts abgekriegt.
Im Grunde war all das für Geerlings genauso wie für mich nur nebensächlich. Aber Scheiße auch – der Mob und die Polizei und in Gewahrsam genommen zu werden, begleitet von Hassgesängen und Geschrei, das alles war schon schlimm genug – aber dazu auch noch der Besitz einer geladenen .25er Automatik.
Ich schätze, dass ich den Kerl gegen die Radmuttern prügelte, das hat sie wirklich aufgebracht – er war immerhin der Sohn des Kriegsministers, und deswegen war mir durchaus klar, dass wir in Schwierigkeiten steckten. Aber Geerlings ließen sie zufrieden. Ich sah, wie er sich vor die Menschenmenge schob und den Polizisten Fragen stellte: »Ich bin hier, um zu helfen.«
»Wer sind Sie denn?«, fragte ein Polizist.
Und er antwortet: »Nur ein Freund. Ein Landsmann von ihm. Was gibt es denn hier für’n Ärger? Fragen Sie mich nicht. Ich bin ein Niemand.«
Geerlings versuchte irgendwie zu helfen, aber der Mob gab den Ton an, und ich versuchte, mich bei dem Presseoffizier unserer Botschaft bemerkbar zu machen. Man hatte mich festgenommen und ließ mich zwischen grölenden Cariokas
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