Königreich der Angst: Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen (German Edition)
Photos)
Bitte seht es mir nach, wenn diese kleine Abenteuergeschichte aus dem Ausland leicht überdreht oder auch gefühlsduselig klingt – zu der Zeit, als ich sie niederschrieb, empfand ich vielleicht so, aber was soll’s? Es waren äußerst brutale Zeiten, wie ich mich sehr wohl erinnere; ich war ein langes Jahr auf einer gemeingefährlichen
Straße entlang des Gebirgszugs der südamerikanischen cordillera gereist und hatte in mir total fremden Ländern verdeckt gearbeitet; Länder, die unter der Knute blutiger Revolutionen und Gegenrevolutionen ächzten, die vom Panamakanal bis ganz hinunter zu den einsamen und frostigen Pampas Argentiniens traurige Tagesaktualität waren … Südamerika war die mörderischste Gegend der Welt, in der zu leben man in den frühen sechziger Jahren verdammt sein konnte, während der Rest des Planeten von Bomben zerstört wurde.
Und was mich betrifft, war Rio de Janeiro in Brasilien dieser eine schicksalhafte Ort, an dem ich unter den gegebenen Umständen äußerst gut lebte. Alles in allem, gab es für einen auf ewig Verlorenen und Gestrandeten wohl keinen besseren Zufluchtsort als Rio, wenn die Welt endgültig in Scherben fiel.
Geerlings war Holländer, um die dreiunddreißig Jahre alt und gebaut wie eines dieser Monster vom Muscle Beach, wenn auch ohne Steroide – er übertraf jeden Athleten, ein gefährliches Urviech mit dem Naturell eines Vielfraßes, ein attraktiver Bursche. Unter seinen billigen und straff sitzenden Oberhemden verbarg sich viel geballte Substanz, genau wie in seinem Hirn. Er hatte eine bahnbrechende Färbemethode für Glaswände in der Größe von Swimmingpools entwickelt. Aus Holland war er geflohen, weil man ihn wegen Mordes suchte – er hatte Nazis mit einem .45er Colt erschossen, den er einem toten Amerikaner abgenommen hatte. Er war während des 2. Weltkriegs in Holland aufgewachsen, und sein Hass auf die Deutschen war enorm. Immer wieder ging er abends los, um Krauts aufzustöbern und zu verprügeln.
In Rio wurden wir eines Abends Zeugen, wie zwei modisch gekleidete Teenager einen Hund quälten. Sie hielten ihn fest und zogen an seinen Beinen, sodass er jämmerlich jaulte. Wir kamen gelangweilt und lustlos aus einem Nachtclub auf der anderen
Straßenseite, und da standen diese Widerlinge und malträtierten in aller Öffentlichkeit einen Hund. Sie waren ungefähr zweihundert Meter von der Avenida Copacabana entfernt, einer großen belebten Straße, und wir stürmten mitten zwischen sie, in vollem Tempo und wie mit Dreschflegeln um uns schlagend. Ich weiß noch, dass ich sagte: »Schnappen wir uns diese miesen Pisser.« Er war wie Oscar – Geerlings hatte diesen Killerinstinkt eines Profimörders.
Wir befanden uns im Stadtteil South Beach mit seinen breiten Gehsteigen aus Granit. Sie ließen den Hund los, als wir auf sie einschlugen, und dann hüpften sie den Gehsteig entlang wie Gummipuppen. Ich brüllte: »Ihr habt also Spaß daran, Hunde zu quälen, ihr Arschlöcher?! Wir werden euch dasselbe spüren lassen!« Zweifellos war unsere Reaktion übertrieben, und wie immer in Augenblicken öffentlich zur Schau gestellter Gewalttätigkeit verloren die Leute völlig die Fassung. Vielleicht waren wir auch fieberkrank. Rio kann das bei einem Menschen auslösen, besonders am Strand von Copacabana: drastische, entmenschlichende Zwangsvorstellungen, Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur in kürzesten Intervallen und außerkörperliche Erfahrungen, die sich allesamt ohne die geringste Vorwarnung in besonders heiklen Augenblicken einstellen.
Sie wanden sich aus unseren Klauen und liefen panisch zur Avenida Copacabana, ganz wie jemand, der denkt: »Ich muss es nur zur Fifth Avenue schaffen, da gibt es Straßenbeleuchtung, und die andern Leute können sehen, was man mir antun will.« Und anstatt von ihnen abzulassen – sie widersetzten sich nur kurz, schlugen eher zaghaft nach uns – verfolgten wir sie, als sie wegliefen, diese beiden jungen Brasilianer, die zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahre alt sein mochten, gesunde Jungs, arrogante Lümmel.
Ich war ziemlich sicher, dass wir sie erwischen konnten. Ich
sah schon die Avenue vor uns und wusste, was sie vorhatten. Sie versuchten panisch, einen dieser Lotocao-Busse anzuhalten, die wie offene Schulbusse aussehen und rund um die Uhr verkehren. Sie rannten beide so schnell sie konnten, verkrampft vor Angst und laut um Hilfe rufend. Ich wollte nicht, dass sie davonkamen.
Wir
Weitere Kostenlose Bücher