Königreich der süßen Versuchung
und lief in ihre Suite. Wo war nur dieser verdammte Schlüssel? Unten im Kleiderschrank sah sie schließlich eine schwarze Handtasche. Hastig hob sie sie auf und schüttete sie auf dem Bett aus. Ein Päckchen Papiertaschentücher, ein Schlüsselbund mit zwei Schlüsseln, zwei Lippenstifte und ihre Brieftasche. Schnell schlug sie sie auf. Darin musste doch etwas zu finden sein, das ihr mehr Aufschluss über ihr Leben gab. Ein amerikanischer Führerschein, ausgestellt in New York, der bald ablief. Ein ruthenischer Führerschein. Eine Visakarte von einer amerikanischen Bank. Eine MasterCard von einer europäischen Bank. Offensichtlich hatte sie eine Art Doppelleben geführt, mal in den USA, mal in Ruthenia.
Das war alles? Kein Notizbuch, kein Adressbuch, kein Handy. Wie enttäuschend. Was für ein langweiliges Leben.
Wenn Jake nicht wäre.
Kurz warf sie einen Blick auf das Telefon. Sollte sie ihn anrufen? Schon bei dem Gedanken wurde sie ruhiger. Sie fühlte sich einfach sicherer in seiner Gegenwart. Aber sie wollte ihm nicht auf die Nerven gehen. Erst wenn sie ihn wirklich brauchte, würde sie ihn anrufen.
Schnell steckte sie die Schlüssel und die Brieftasche ein und hastete zurück zu ihrem Büro. Glücklicherweise hatte sie sich nicht getäuscht, der kleinere Schlüssel passte. Wie ihr Schlafzimmer war auch ihr Büro tadellos aufgeräumt. Es gab keine Bilder an den Wänden oder Fotos auf dem Schreibtisch, die ihr hätten Aufschluss über ihr eigenes Leben geben können. Himmel, sie musste wirklich die langweiligste Person auf der ganzen weiten Welt sein! Aber offenbar war sie doch so interessant, dass ein König sie heiraten wollte.
Auf dem Schreibtisch stand ein silberfarbener Laptop, den sie jetzt neugierig aufklappte. Dort musste sie doch etwas finden, das sie weiterbrachte, zumindest was ihre Arbeit betraf. Sie schaltete ihn ein. „Bitte Passwort eingeben.“ Mist. Ihr war, als suche sie nach dem Passwort für ihr eigenes Leben, und immer wieder entzog es sich ihr. Was könnte ihr Passwort sein? „Blau“, tippte sie ein, denn der Bildschirm war blau. Nichts. „Jake“. Wieder nichts. „Liebe“. Nada. Offenbar hatte sie zu dem Rechner genauso wenig Zugang wie zu ihrem Gedächtnis.
Wut packte sie. Es musste doch irgendetwas zu entdecken sein, das ihr weiterhalf. Sämtliche Schubladen zog sie auf, fand aber nur blütenreines Schreibpapier, Kugelschreiber und Heftklammern. Im ganzen Büro war nichts zu finden, das mit ihr persönlich zu tun hatte. Als ob sie nie an diesem Schreibtisch gesessen hätte. Oder als ob sie alles vernichtet hätte, weil sie diese Arbeit aufgab.
Die Arbeit aufgab … ja, natürlich! Das war des Rätsels Lösung. Denn als zukünftige Frau des Königs würde sie doch nicht mehr als seine Assistentin arbeiten können. Und deshalb hatte sie ihren Arbeitsplatz so aufgeräumt hinterlassen. Aber warum hatte Jake nichts davon gesagt?
Entschlossen nahm sie den Hörer hoch und drückte die Eins. Jake nahm sofort ab.
„Hallo, Andi, wie fühlst du dich?“
Wie gut es war, seine tiefe, warme Stimme zu hören. „Ein bisschen durcheinander. Ich bin gerade in meinem Büro und fühle mich vollkommen verloren.“
„Bleib da. Ich komme gleich.“
Gott sei Dank! Zwar war es ein bisschen peinlich, sich ohne Jake so hilflos zu fühlen. Aber es war gut, dass sie ihn jederzeit anrufen konnte. Versonnen betrachtete sie wieder den Ring, dessen Stein in allen Farben funkelte, und lächelte. Was für ein schönes Symbol ihrer Verbundenheit. Auch wenn ihr eigenes Leben ein großes Rätsel war, wusste sie doch, wie es sich anfühlte, geliebt zu werden.
Als es klopfte, rannte sie zur Tür und riss sie auf. Unwillkürlich strahlte sie, als sie ihn so vor sich stehen sah, groß und dunkel und atemberaubend attraktiv.
„Ich habe mich so nach dir gesehnt“, sagte er mit dieser viel zu verführerischen Stimme.
„Komm rein“, stieß sie atemlos hervor. Ihr Herz klopfte wie verrückt, und ihre Haut prickelte. „Klopfst du immer an, wenn du in mein Büro willst?“ Wenn man schon jahrelang zusammenarbeitete und dazu noch zusammen war, erschien das doch einigermaßen absurd.
Kurz stutzte er. „Sieht so aus. Möchtest du lieber, dass ich einfach so reinplatze?“
„Weiß ich nicht.“ Sie lachte leise. Irgendwie war ihr alles egal, wenn er bei ihr war. „Das hängt davon ab, ob ich Geheimnisse vor dir habe.“
„Und? Hast du?“
„Keine Ahnung. Und wenn, sind es hoffentlich keine
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