Königreich der süßen Versuchung
gekleideter Mann öffnete die Tür, noch bevor sie sie erreichten. „Darf ich Ihnen meine Gratulation aussprechen?“
Andi zuckte zusammen. Dann wussten also schon alle Bescheid? In so einem kleinen Land verbreiteten sich Nachrichten wohl schneller als ein Grippevirus.
„Auch Ihnen meine herzlichste Gratulation, Andi. Selbst wenn es jetzt vielleicht nicht mehr angemessen ist, aber die Post befindet sich wie immer in Ihrem Büro.“
Ich habe ein Büro? Aber wo? Offenbar erwartete man von ihr, dass sie ihre Arbeit tat. Und dabei hatte sie keine Ahnung, worin die bestand. Dennoch konnte sie auf keinen Fall zugeben, dass sie sich an nichts erinnerte. „Danke“, brachte sie leise hervor.
Während sie die mit Marmor geflieste Eingangshalle durchquerten, hielt sie die Hand mit dem auffälligen Verlobungsring tief in der Manteltasche versteckt. Die Menschen, die ihnen begegneten und sie freundlich grüßten, wirkten irgendwie vertraut. Aber sie konnte sich an keine Namen erinnern und wusste nicht, ob es sich um Mitarbeiter oder Freunde handelte. Als Jake stehen blieb, um einen Telefonanruf entgegenzunehmen, war sie unsicher, ob sie weitergehen sollte und wenn, in welche Richtung. Und dann stürzte auch noch eine junge Frau mit wilden roten Locken auf sie zu und rief: „Warum bin ich die Letzte, die davon erfährt?“
Andi lächelte nur unbestimmt und zuckte kurz mit den Schultern.
Die Rothaarige senkte die Stimme. „Dann haben Sie also nicht gekündigt?“
„Gekündigt?“ Andi sah sich schnell nach Jake um, aber er hatte offenbar nichts gehört.
„Ja, Sie hatten einen neuen Job in Aussicht und wollten gehen. Und Sie hatten schon die Koffer gepackt. Aber offenbar hat sich etwas … Besseres ergeben“, fügte sie süffisant hinzu.
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“ Wie wahr! Was meinte die Rothaarige damit? Gepackte Koffer? Ein neuer Job? Vielleicht konnte sie, Andi, sich erinnern, wenn sie ihre eigenen Sachen sah. Aber wo war ihr Zimmer? Zwar konnte sie zu Jakes Suite zurückfinden – und sie war sehr versucht, das zu tun, nur um dieser hartnäckigen Person zu entkommen –, aber offenbar war er ihr Chef, und so sähe das etwas seltsam aus.
„Darf ich?“ Ein älterer Mann mit weißem Haar war auf sie zugekommen und streckte beide Arme aus.
Verwirrt starrte Andi ihn an.
„Ihren Mantel nehmen“, erläuterte er freundlich. „Ist es zu früh, Sie Ihre Majestät zu nennen?“, fragte er dann mit einer leichten Verbeugung.
„Ich … ich glaube schon.“ Sie zog den Mantel aus und reichte ihn dem Mann. „Danke.“ Flehend sah sie Jake an, der ihre Unsicherheit bemerkte und schnell sein Telefongespräch beendete. Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Komm, lass uns in mein Büro gehen.“
Sowie sie die Treppe erreicht hatten, flüsterte sie ihm zu: „Ich weiß nicht, wo mein Zimmer ist.“ Kurz runzelte er die Stirn, dann lächelte er Andi beruhigend an. „Dann werde ich es dir zeigen.“
„Und ich weiß nicht, wie die Leute heißen“, fügte sie leise hinzu, obwohl in dem weiten Flur im ersten Stockwerk niemand zu sehen war. „Wahrscheinlich halten mich alle für sehr unhöflich.“
„Der Weißhaarige ist Walter. Er hat hier schon gearbeitet, als das Ganze noch ein Hotel war.“
„Was? Der Palast war ein Hotel?“
„Ja, eine Zeit lang, damals, unter dem kommunistischen Regime. Nachdem meine Familie in den USA Exil gesucht hatte. Um das Gebäude in den alten prächtigen Zustand zurückzuversetzen, musste viel geschehen. Im Wesentlichen hast du dich um die Renovierungsarbeiten gekümmert.“
Ich? Andi starrte auf den Teppich, den sie möglicherweise ausgesucht hatte. Schließlich blieb Jake vor einer glänzend polierten Holztür stehen. „Hier, das ist der Eingang zu deiner Suite. Die Tür war nicht verschlossen, als ich deine Sachen geholt habe.“
Sie drückte die Klinke herunter und trat in einen großen Raum mit einem Doppelbett und schweren Brokatvorhängen vor den Fenstern. Die Möbel waren aus dunklem Holz, und Andi zuckte zusammen, als sie eine Strumpfhose auf dem Bett liegen sah. „Vielleicht sollte ich mir alles in Ruhe ansehen. Möglicherweise hilft das meinem Gedächtnis auf die Sprünge.“
„Klar. Ich lasse dich allein.“ Jake strich ihr zärtlich über den Rücken, dann zog er sie an sich und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Mund. „Mach dir keine Sorgen.“ Er wies auf die Kommode. „Dort steht dein Telefon, und du hast mir immer gesagt,
Weitere Kostenlose Bücher