Königsallee
in Kürze ein Bewegungsprofil hereinreichen.
Reuter trat an die Stellwände, die mit Hinweismeldungen vollgehängt waren. Ein Wust von Neuigkeiten. Ein Team hatte den dunklen Kombi aus Neuss ausfindig gemacht, den das ältere Ausflüglerpärchen am Tatort beobachtet hatte – eine junge Frau hatte sich das Auto ihres Vaters geliehen und im Aaper Wald die sogenannten Witte Wiwerkes aufgesucht, sieben Felsbrocken auf einem der Hügel. Wörtliches Zitat: Ein Kraftort, der mir hilft, mit dem Leben klarzukommen. Auf dem Parkplatz hatte die Esoterik-Spinnerin nichts bemerkt, weder von Henrike noch von ihren Peinigern. Diese Spur hatte sich also erledigt.
Erledigt auch die Taucher: Sie hatten die Suche nach der Tatwaffe oder dem Magazin aufgegeben. Die Strömung an der Hafeneinfahrt sorgte dafür, dass jeder kleinere Gegenstand sofort in den sandigen Grund gespült wurde – die Stecknadel im Heuhaufen.
Ein Schluck Kaffee, weiter im Text.
Sieh an, Kollege Wegmann war aktiv gewesen: Er hatte die Aussage von Marius Karge überprüft und im Wesentlichen bestätigt bekommen. Der Barmann in Sam’s Lounge hätte die betrunkene Henrike wegen des Spektakels, das sie veranstaltete, hinausgeworfen, wenn sie sich nicht ohnehin verabschiedet hätte – mit einem Schwall übler Beschimpfungen gegen ihren Ex. Eine Kellnerin glaubte, mitbekommen zu haben, dass die beiden es im Abstellraum für Putzmittel getrieben hatten. Reuter malte sich aus, wie es gewesen sein könnte: Karge hatte seine Verflossene mit der Aussicht, ihr das Auto zu leihen, zur schnellen Nummer überredet und danach nichts mehr von seinem Versprechen wissen wollen. Kein Wunder, dass Henrike ausgeflippt war.
Dazu passte, dass Karges DNA in den Spermaspuren aus der Leiche identifiziert worden war. Älteres Sperma – also waren es nur zwei Vergewaltiger gewesen.
Weitere Befragungen: Kollegen, Kommilitonen und Freundinnen, deren Namen Henrikes Mutter genannt hatte, sowie Namen aus der Diskoclique, die von Juli stammten. Alles in allem wenig Neues und nicht viel Gutes über die Tote.
Reuter lernte, dass auf dem Ursulinen-Gymnasium, das Henrike besucht hatte, zwar nicht mehr die Nonnen regierten, aber offenbar noch immer die alte Regel galt: Die Schülerinnen dort waren entweder brav und bieder oder komplett ausgeflippt – Henrike Andermatt hatte eindeutig zur zweiten Kategorie gehört.
Ihr Werdegang spiegelte sich in den Protokollen wider: Schon mit vierzehn nahm sie alles mit aufs Sofa. Mit sechzehn lungerte sie unter den Punks vor dem Carsch-Haus herum und zerschlug geleerte Bierflaschen auf dem Pflaster. Mit achtzehn kristallisierte sich ihr Drang nach Höherem heraus: bessere Drogen, feinere Typen. Und irgendwann war Henrike auch das zu langweilig geworden.
Reuter weigerte sich, dem Mädchen die alleinige Schuld zu geben. Henrike war an Typen geraten, die sie ausnutzten: Kokser wie Karge oder Dealer wie Robert Marthau.
Zuletzt ein Schrieb, den Scholz und seine hübsche Kollegin Marietta gegengezeichnet hatten: die Aussage eines gewissen Sven Mielke, noch ein Exfreund Henrikes aus jüngerer Zeit und Praktikantenkollege, zuerst beim Sender, dann bei der Zeitung. Mielke hatte dem Blitz eine Enthüllungsstory über die Tochter von Richter Gnadenlos unterjubeln wollen – der Junge schob offenbar schweren Groll.
Reuter las mit wachsendem Interesse. Mielkes Hinweis auf einen Diskobesucher schien eine heiße Spur zu sein – der Kerl hatte sich mit Sven um die Richtertochter gestritten.
Wollte ihr den Spaß verbieten. Tickte nicht ganz richtig.
Reuter las die Beschreibung des Unbekannten und hielt den Atem an. Er bekam eine Gänsehaut. Alles passte.
Ein stämmiger Bursche um die vierzig mit schiefer Nase.
Reuters Handy begann zu dudeln. Er ging ran. »Jan hier.«
»Du willst mit mir reden?«
Es war die Stimme des Exboxers.
»Wo steckst du, Bruno?«
»Kennst du das Café namens Seifenhorst? Der Kaffee hier ist echt lecker. Du gehst die Lorettostraße runter …«
»Ich weiß, wo das ist. Ich wohne in dem Viertel.«
»In zehn Minuten.«
»Bruno …«
Aufgelegt.
Reuter atmete tief durch. Ein stämmiger Bursche – Bruno Wegmanns Zinken stand schräg. Ein altes Souvenir aus Boxkampfzeiten.
55.
Kurz vor Wuppertal verließen sie die Autobahn und erreichten Gräfrath, einen Ort im Bergischen Land, der zu Solingen gehörte. Pascal Frontzeck wohnte hier, der Partyteilnehmer vom Freitagabend, Liquid Ecstasy im Glas.
Scholz ging der merkwürdige Auftritt
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