Königsallee
ich muss dir ein Kompliment machen.«
»Wieso?«
»Das Ausquetschen liegt dir. Du hast mich zum Reden gebracht wie ein alter Hase.«
»Unsinn, Bruno, du wolltest beichten.«
»Weißt du, was ich dachte, als ich sie letzte Nacht neben diesem Parkplatz liegen sah, nackt und blutverschmiert?«
Reuter schwieg.
»Dass ich ein verdammtes Schwein bin. Als Lena Hilfe brauchte, habe ich sie abgewimmelt. Als sie vernommen wurde, hab ich mich verdrückt. Ich wollte einfach nicht mit ihren Sex-und Drogengeschichten in Verbindung gebracht werden.«
Schuldgefühle – Reuter spürte, dass er selbst nicht frei davon war.
Sie kamen an dem Haus vorbei, in dem er wohnte. Kids standen an der Kreuzung und spielten sich gegenseitig die großen Macker vor. Irgendwo kläffte ein kleiner Hund. Reuters Handy tönte.
Es war Thilo Becker, der MK-Leiter. »Ist Wegmann bei dir?«
Reuter warf seinem Partner einen Blick zu. »Ja, was gibt’s?«
»Könnt ihr für eine Vernehmung reinkommen?«
»Was liegt an?«
»Ein Wohnmobilbesitzer aus Wülfrath ist auf dem Weg hierher. Er ist wegen Vergewaltigung vorbestraft und sein Bremslicht war bis gestern defekt.«
»Du machst Scherze, Thilo.«
»Nein, ich glaube, wir haben einen der Kerle.«
Reuter beschleunigte seinen Schritt. Ihm glitt fast das Handy aus der Hand. Bleib cool, sagte er sich. »In drei Minuten sind wir da«, antwortete er.
57.
Sie fanden eine Parklücke im absoluten Halteverbot vor der Kreuzung Berliner Allee und liefen das kurze Stück zu dem Gebäude zurück, in dem die Agentur ihre Büros hatte. Die gläserne Eingangstür war unverschlossen. Im Foyer ein riesiges, kunterbuntes Gemälde und eine runde Kanzel, hinter der ein Wachschutzangestellter saß: hellblaues Hemd, dunkelblaue Jacke.
Scholz nannte Frontzecks Namen und den der Werbefirma. Der Uniformierte griff zum Telefon.
Der Junior-Artdirector ließ nicht lange auf sich warten. Beschwingt trabte Pascal Frontzeck die Treppe herunter. Seine Fröhlichkeit schwand sofort, als Scholz und Marietta ihre Dienstmarken zeigten.
»Können wir uns in Ihrem Büro unterhalten?«, fragte Scholz.
»Das geht schlecht.«
»Wieso?«
»Ich teile es mit einem Kollegen und da wird gerade gearbeitet. Können wir … das nicht draußen machen?«
Scholz blickte seine Partnerin an.
»Im Auto?«, schlug Marietta vor.
Scholz nickte.
Frontzeck ging neben ihnen her wie ein Verurteilter zum Schafott. Im Vergleich zum Foto aus der Akte hatte er sich verändert: kürzeres Haar, kein Kinnbart mehr. Mit seinem blassen Gesicht wirkte er geradezu unscheinbar. Legere Kleidung: Unter seinem T-Shirt lugten die langen Ärmel eines Sweatshirts hervor, beides schlabberte über der Jeans – dabei hatte Scholz immer geglaubt, Werber trügen schwarze Anzüge.
Sie passierten das Pleasure Dome, das Koksbaron Böhr einst in einem ehemaligen Kino eröffnet hatte. Frontzecks Arbeitsplatz befand sich also schräg gegenüber von dem der Türsteher Marthau und Maisel. Jetzt wirkte der Ort verwaist, aber nachts ging hier die Post ab.
Scholz ließ den Zeugen hinten einsteigen und setzte sich neben ihn, nicht anders als bei einer Festnahme. Marietta wählte den Beifahrersitz.
»Sie wissen, worum es geht«, begann Scholz.
»Woher sollte ich?«
»Spielen Sie nicht den Unschuldigen.«
»Okay, sowohl Robby Marthau als auch Lena sind ermordet worden und ich kannte beide. Wenn auch nur sehr flüchtig.«
»Fangen wir mit dem Freitagabend an. Wo waren Sie da?«
»In der Agentur. Bis etwa dreiundzwanzig Uhr.«
»Das ist die Version, die Sie Ihrer Freundin erzählt haben. Wir wissen es besser.«
»Wieso, was wissen Sie?«
»Wir wollen es von Ihnen hören, Herr Frontzeck.«
Der junge Mann schien zu schrumpfen. Er starrte auf seine Knie. Seine Hand rieb das Kinn, wo einmal der Bart gesessen hatte.
»Und?«, fragte Marietta.
»Sie versprechen mir, dass meine Freundin nichts erfährt?«
Es ist immer das Gleiche, dachte Scholz. Die jungen Leute probierten alles aus: Partydrogen, Sex in allen Varianten. Oder sie gingen in ihren Jobs auf. Sie glaubten, sie könnten das Rad neu erfinden, und fühlten sich dem Rest der Welt überlegen. Dabei waren sie die gleichen Spießer wie alle anderen auch.
Er sagte nur: »Kommen Sie, Frontzeck.«
»Sie kennen die Internetadresse von Lena und Robby?«
Scholz nickte.
»Ich habe die Seite für sie gebaut. Wir sind zufällig mal in der Disko ins Gespräch gekommen, beim After-Work-Chill-out, und da hat sich das ergeben. Sie
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