Königsallee
ich verstehen.«
»Sind ’ne Menge Erinnerungen. Wir haben viel unternommen. Henni war voller Pläne. Was sie sich in zwei Monaten ausdachte, erleben andere in zwei Jahren nicht. Durch Henni habe ich vieles kennengelernt. Auch ihre schrecklichen Eltern, das war eine echte Erfahrung. Glauben Sie, Andermatt wird tatsächlich Minister?«
Der Junge will plaudern, warum nicht, dachte Scholz. »Keine Ahnung«, antwortete er. »Politik ist nicht meine Stärke.«
»Sind Sie Henni mal begegnet, als sie noch lebte?«
»Nach dem Mord an Robert Marthau, nur kurz.« Scholz sah sie vor sich: ein Häufchen Elend neben Marthaus Ungetüm von Pick-up, das sie zur Festung gesteuert hatte. In Tränen aufgelöst bei der Vernehmung in Ela Bachs Büro.
»Eine faszinierende Frau«, sagte der angehende Filmstudent.
Scholz überlegte, ob er der gleichen Meinung war. Was faszinierte ihn an Frauen? Jugend und Schönheit waren relativ. Ihm fiel Bettina ein, einst das begehrenswerteste Mädchen der Welt – in seinen Augen. Scholz kam zu dem Schluss, dass er sich mit Frauen noch weniger auskannte als mit Politik.
Er antwortete: »Vielleicht werden Sie mal einen Film über sie drehen.«
»Über Henni und ihre Familie, gute Idee.«
»Und über ihre Eskapaden. Darüber, dass sie spürte, wie ihr dieses Leben nicht guttat und sie trotzdem alles mitmachte, solange es nur dem widersprach, was ihre Eltern wollten.«
»Sehen Sie Henni so?«
»Ich bin überzeugt davon, dass andere Menschen sie anders sehen. Sie zum Beispiel. Oder Henrikes Mutter. Ihr Film sollte das aufgreifen und seine Hauptfigur als vielschichtige Person zeigen.«
»Es wird ein Krimi.«
»Natürlich, was sonst.«
»Mir fiel übrigens noch einer dieser Typen ein, die Henni umschwirrten. Ein absolut unangenehmer Kerl. Deshalb rufe ich an.«
»Noch ein falscher Freund?«
»Eher ein Möchtegernfreund, der jeden Tag schon nach Büroschluss in die Disko gelaufen ist, um zu sehen, ob sie da ist. Wie ein Stalker, der sie sogar dann anschmachtete, wenn ich dabei war. Er arbeitet irgendetwas mit Werbung und Internet und hat eine schwere Macke, wenn Sie mich fragen.«
»Pascal Frontzeck.«
»Sie kennen ihn?«
»Ich muss Sie enttäuschen. Er hat ein Alibi, das dicht zu sein scheint.«
»Dann habe ich Sie also umsonst gestört, mitten in der Nacht. Tut mir leid.«
»Kein Problem.«
»Was meinen Sie, hätte ich Henni mit nach München nehmen sollen?«
»Nein, Sven. Dieses Was-wäre-wenn-Spiel hat keinen Sinn.«
»Danke, Herr Scholz.«
»Wofür?«
»Für das Gespräch. Der Film ist eine gute Idee. Irgendwann werde ich ihn machen. Dann komme ich auf Sie zu, wenn ich darf.«
»Als Berater in Polizeifragen?«
»Sind solche Details wichtig? Ich dachte eher an Ihre Menschenkenntnis. Sie wissen, wie es im Leben zugeht, und ich bewundere, wie Sie alles im Griff haben.«
Scholz unterließ es, dem jungen Mann zu widersprechen. Vielleicht brauchte Mielke das: die Illusion, man könnte den ganzen Scheiß in den Griff bekommen.
Nachdem Scholz aufgelegt hatte, trank er sein Bier aus und starrte auf einen hysterischen Moderator, der ihn animieren wollte, wegen irgendwelchen Schwachsinns beim Sender anzurufen. Er dachte über das Gespräch von eben nach: falsche Bettgenossen, Möchtegernfreunde.
Pascal Frontzeck.
Scholz fiel ein, was dessen Freundin ausgesagt hatte: Ich wollte meine Eltern besuchen und die kann er nicht besonders leiden. Da war die Arbeit ein schöner Vorwand.
Der Samstagnachmittag – Frontzeck hatte ihn angeblich in der Agentur verbracht.
Der blasse Werber und Internetspezialist hatte notorisch seine Freundin beschwindelt und war Henrike Andermatt alias Lena nachgestiegen. Vielleicht war er der letzte Kerl gewesen, den die Richtertochter angerufen hatte, um nach Duisburg gebracht zu werden.
Pascal Frontzeck – ein Typ, der dem Mädel keinen Gefallen abschlagen konnte. Scholz beschloss, sich ihn gleich morgen noch einmal vorzuknöpfen.
67.
Die Tür sprang auf und ein Kerl in Jeans ließ sich blicken, noch halb umgewandt, um sich zu verabschieden. Rote Converse-Stoffschuhe, zwei halb volle Plastiktüten von Aldi in der Hand, eine goldene Uhr am Gelenk. Was er mit Juli redete, war nicht zu verstehen. Schon wieder ratterte ein Zug vorbei. Dann trat der junge Glatzkopf ins Treppenhaus.
»Hallo, Sascha«, sagte Reuter. »Wir müssen noch einmal mit dir reden.«
Maisel blieb stehen.
Kilian befahl: »Sachte zur Wand, Hände auf den Rücken. Wir müssen Ihnen
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