Königsallee
einen Müllcontainer vor sich her. Dann knallte der Wagen gegen ein festes Hindernis. Lenas Kopf prallte in die Nackenstütze. Ein stechender Schmerz im Genick.
Hier war es hell, Straßenlampen – der Platz, an dem sie abgebogen waren. Endlich konnte sie den Dodge wenden.
Der vermummte Schütze kam angerannt und hob erneut die Waffe. Lena riss das Steuer herum. Vorwärtsgang. Vollgas.
Die Breitreifen quietschten. Der Abstand wurde größer. Sie raste durch das Hafengebiet, ohne zu wissen, ob sie sich auf dem richtigen Weg befand.
Plötzlich ein Krachen und Knattern, wie eine Kette von Explosionen.
Im Rückspiegel bunte Lichter, die erloschen und aufs Neue aufglühten. Beruhige dich, sagte sich Lena. Nur das japanische Feuerwerk weiter unten am Fluss.
Vor ihr die grün angestrahlten Schornsteine des Kraftwerks. Kohlehalden, Förderbänder, Türme aus Beton. Der Dodge rumpelte über Schienen. Lena wusste jetzt, dass sie sich verfahren hatte. Das war noch immer das Hafengebiet, doch statt Wasser gab es rechts und links nur Ziegelmauern, weite Brachflächen, Schutthalden hinter Stacheldraht. Plakatwände, ein Bushäuschen. Eine Kreuzung.
Lena kämpfte mit den Tränen. Sie schrie Robby an: »Wo geht’s hier raus?«
Nach einer Kurve erneut der Bahndamm. Das Feuerwerk knatterte jetzt von vorn. Sternkaskaden am Nachthimmel – war sie im Kreis gefahren und raste erneut dem schwarzen Tod entgegen?
Dann tauchten die Bürogebäude des Medienhafens auf, in einigen Etagen brannte Licht. Endlich wusste Lena, wo sie waren. Der Kinokomplex mit seiner vorgewölbten Glasfassade. Nur wenige Leute waren unterwegs – das Feuerwerk lockte alle an den Rhein.
Lena fand eine leere Parkbucht, die groß genug war, und würgte den Motor ab.
»Wir sind erst mal in Sicherheit«, sagte sie zu Robby, sich selbst Mut zusprechend. Ihr Pulsschlag hämmerte. Die Hände zitterten. »Du fährst weiter. Ich kann nicht mehr.«
Noch immer drohte die Panik, ihr die Luft abzudrücken. Als greife eine kalte Faust nach ihren Eingeweiden.
»Robby?«
Der Diskomanager blieb stumm. Er hing im Gurt und reagierte nicht, als sie ihn schüttelte. Dann erst bemerkte sie die dunkle Stelle an seinem Kopf.
Sie sah genauer hin: Matsch und Knochensplitter, wo seine Schläfe gewesen war.
Ihr wurde klar, dass es sein Blut war, das auf ihrem Gesicht klebte. Sie wischte sich über die Wange – an ihrer Hand klebten Gewebeteile.
Lena riss die Fahrertür auf und kotzte auf die Straße, bis ihr Magen nichts mehr hergab. Die kalte Faust drückte zu und Lena glaubte, den Verstand zu verlieren.
Teil II
Die Zeugin
Seit ich mein Grab sah, will ich nichts als leben.
Heinrich von Kleist, Prinz Friedrich von Homburg
14.
Reuter lief durch das Erdgeschoss des Seitenflügels, bis er den Wachraum fand. Die Übergabe hatte bereits begonnen. Feierabend für die Spätschicht der Kriminalwache, die Nachtschicht traf ein, ein Kommen und Gehen.
Er sprach eine hübsche Brünette an, ob sie Norbert Scholz gesehen habe. Sie lugte kurz nach nebenan, dann verneinte sie. Reuter beschloss, auf dem Gang zu warten. Der Gesuchte musste jeden Moment eintreffen.
Nach einer Weile trat die Kollegin auf den Flur und sagte: »Onkel Jürgen meint, Norbert sei oben, um sich die Knallerei anzuschauen. Kommst du mit?«
Das Feuerwerk – Reuter fiel ein, dass er Katja versetzt hatte.
Mist.
Er folgte der Brünetten. Sie sagte: »Ich heiße Marietta.«
»Jan aus dem KK 22.«
»Norberts frühere Dienststelle?«
»Ja.«
Weil der Paternoster nachts stillgelegt war, mussten sie die Treppe nehmen. Im dritten Stockwerk gaben sie an der Holztür den Code ein. Schon im Flur dahinter vernahmen sie das Johlen der Kollegen. Das zweite Treppenhaus führte weiter nach oben. Sie passierten den ehemaligen Frühbesprechungsraum und betraten das rechte Eckbüro am Ende des langen Gangs: Geknatter von draußen, zwei Dutzend Leute an den Fenstern der Nord-und Westseite, Beamte in Uniform und Zivil.
Der Blick ging über die Dächer der anderen Straßenseite in Richtung Rhein. Hoch über den Pfeilern der Rheinkniebrücke entfalteten sich die bunten Bilder: Blumen und Smileys.
»Die Japaner können es am besten«, meinte Marietta und spähte über die Schultern der anderen.
Der Gesuchte stand ganz rechts außen. Reuter erinnerte sich an das Gefühl der Niederlage, als ihm klar geworden war, dass seine Indizien gegen den Kerl nicht ausreichten. Scholz hatte Erfahrung. Der Typ war raffiniert.
Ein Kerl von
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