Königsallee
Jeans, graues Kapuzenshirt ohne Aufdruck, die Haube über das braune Haar gezogen. Sie ließ sich gerade von zwei Uniformierten berichten.
Um halb elf habe die Fahrerin des roten Pick-ups blutverschmiert an der Tür zur Wache der Polizeiinspektion Südwest geklingelt, die im Erdgeschoss der Festung lag. Angeblich habe ein maskierter Täter im Hafengebiet auf sie und ihren Begleiter geschossen.
Die Mordermittlerin fragte: »Wie hat sie auf euch gewirkt?«
Der Große im grünen Kradfahrer-Overall kratzte sich am Kopf.
Die Zierliche mit den langen Haaren antwortete: »Verwirrt, würde ich sagen.«
»Hat sie den Ort genannt, wo es passiert sein soll?«
»Zwischen dem letzten Hafenbecken und dem Rhein. Irgendwo Nähe Lausward, vermute ich mal.«
»Uhrzeit?«
»Keine Angaben.« Die Kollegin blickte den Großen an. Der schüttelte den Kopf.
»Sobald die Spurensicherung und der Rechtsmediziner mit der Zeugin durch sind, soll sie uns die genaue Stelle zeigen, damit ihr den Tatort sichern könnt und die Techniker sich dort umsehen können.«
Vor dem Flatterband stoppte ein Leichenwagen.
»Wer hat denn jetzt schon die Bestatter herbestellt?«, fragte Winkler. Regenwasser tropfte von ihrer Nase.
Ein Uniformierter antwortete: »Egal, müssen sie eben warten.«
Ein blauer Omega legte eine Vollbremsung hin. Zwei Kollegen stiegen aus. Reuter erkannte Ingo Ritter, den Dienstgruppenleiter der Kriminalwache. Der Schnauzbart sagte: »Wie ich höre, liefert man uns die Hugos jetzt schon frei Haus.«
Weitere Autos hielten. Tumult brach aus. Fotografen, Fernsehteams – die Medienmeute hatte Lunte gerochen. Grelle Kamerascheinwerfer, hektische Rufe nach Auskunft.
Reuter wandte ihnen den Rücken zu, gab der KK-11-Ermittlerin sein Kärtchen und stellte sich vor: »Jan vom KK 22. Der Ermordete heißt Robert Marthau. Er war Türsteher im Pleasure Dome und versorgte uns gelegentlich mit Infos.«
»Ein OK-Spitzel«, folgerte die Kollegin. »Das heißt, du hast ihn verloren.«
»Sieht so aus.«
»Lauf nicht weg. Wir brauchen deine Aussage.«
»Klar.«
»Hast du eine Ahnung, wer …«
Reuter schüttelte den Kopf.
Aber er wusste, was er Robby schuldig war.
16.
In seinem Büro suchte Reuter nach dem Protokoll des letzten Treffens mit dem Türsteher. Kollege Koch hatte es verfasst, aber wo war es abgelegt? Reuter rüttelte an der Schreibtischschublade des Bürogenossen – verriegelt.
Er rief Koch zu Hause an und ließ das Freizeichen tuten, bis endlich jemand abhob.
»Koch.« Die Stimme von Michaels Frau.
»Hallo, Marion. Jan hier. Ist dein Mann zu Hause?« Womöglich bei der Geliebten, fiel ihm ein.
»Warte.«
Geraschel, Getuschel, dann die Stimme des Kollegen: »Was geht so?«
Du redest fast wie Einstein, dachte Reuter. »Jemand hat Marthau erschossen.«
»Scheiße! Gibt es Zeugen?«
»Das Mädchen, mit dem Robby uns in Moers besucht hat. Sie hat überlebt.«
»Was sagt sie?«
»Noch nichts. Steht unter Schock.«
»Kann ich helfen?«
»Ich suche das Protokoll von gestern.«
Michael erklärte ihm, wo der Schlüssel zur Schublade hing: mit einem Magneten am Metallrahmen des Tisches befestigt. »Braucht ihr mich wirklich nicht?«
»Es reicht vermutlich, wenn dich die Mordleute morgen früh befragen.«
Reuter schloss die Lade auf und fand das Protokoll. Gerade mal zwei Seiten. Beim Lesen musste er gähnen. Fünfzehn Stunden im Dienst und kein Ende absehbar.
Ihm ging durch den Kopf, wie nervös Robby gestern gewesen war.
Ey, Leute, ich bin euer bester Mann!
Robbys Verspätung. Lena als Begleitung. Die Prahlerei über Sexpartys, die angebliche Entführung von Böhrs Eltern, über die Robby dann doch nichts Genaues wusste – als wollte er von den Dingen ablenken, die ihn wirklich bewegten.
Reuter überlegte, wer den Jungen besser gekannt haben konnte. Da gab es Sascha, der ebenfalls als Türsteher arbeitete. Und Juli.
Reuter wusste, dass Robbys Freundin aus der Gegend um Kleve stammte und nach einem Diskobesuch in der großen Stadt hängen geblieben war – Hals über Kopf verliebt in den gut aussehenden Knackarsch, der ihr die große, weite Welt versprochen hatte.
Irgendwo in den Akten gab es sogar ein Foto der beiden. Aus der Zeit, als gegen Robert Marthau wegen seiner Dealerei ermittelt worden war.
Mutter und Stiefvater des Ermordeten lebten bei Bielefeld. Reuter bezweifelte, dass sie über Robbys Treiben Bescheid wussten.
Als er das Protokoll in die Schublade zurücklegte, fiel ihm eine Visitenkarte in
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