Königsallee
Abwechslung mal mit der Wahrheit?« Bachs Stimme wurde schrill. »Sie sind ausgestiegen, zur Beifahrertür gegangen und haben Marthau durch das offene Fenster aus nächster Distanz erschossen!«
Die Bürotür wurde aufgerissen. Edgar Reuter stürmte herein. Er wandte sich sofort an Henrike: »Ihr Vater schickt mich. Ich bin Rechtsanwalt. Sie müssen hier nicht aussagen.«
Sein Tonfall war sanft und autoritär zugleich. Wie vor einem Spiegel geübt. Sie müssen hier nicht aussagen – aus Edgars Mund klang es wie ein Maulkorb, urteilte Reuter.
Der Anwalt fuhr fort: »Wenn Sie möchten, bringe ich Sie nach Hause.«
»Die Polizei … sie glauben mir nicht.«
Edgar wandte sich an den Staatsanwalt. »Herr Balthus, ist meine Mandantin festgenommen?«
»Nein.«
»Sitzt sie als Beschuldigte hier oder als Zeugin?«
Balthus und Bach wechselten Blicke.
»Als Zeugin.«
»Hören Sie, Frau Andermatt braucht dringend Ruhe und wird jetzt nach Hause gehen. Wenn Sie noch weitere Fragen an meine Mandantin haben, setzen Sie sich mit mir in Verbindung und wir vereinbaren einen Termin.« Er legte eine Visitenkarte auf den Tisch, dann führte er Henrike hinaus. Jan würdigte er keines Blicks. Die Tür fiel ins Schloss.
Keiner sagte etwas. In Reuters Ohren rauschte der Puls.
»Woher wusste der Kerl, wo wir die Zeugin vernehmen?«, durchbrach Anna Winkler die Stille.
»Hat sie telefoniert?«, erkundigte sich Blondschopf Becker.
»Richter Gnadenlos hat viele Fans«, gab Balthus zu bedenken. »Vermutlich hat er es von einem eurer Kollegen erfahren.«
Die Tür ging auf, ein weiterer KK-11-Beamter trat ein, den Reuter vom Sehen kannte: Bruno Wegmann, der einst als Boxchampion geglänzt hatte – Narben kreuzten die rechte Augenbraue, die Nase war leicht zur Seite geknickt. Eine bullige Statur, die der Gegenseite gehörig Respekt einflößen konnte.
»Du hast etwas verpasst, Bruno«, sagte die Kommissariatsleiterin und spielte wieder mit der nicht angezündeten Zigarette.
»Wenn du das Ding ansteckst, bin ich sofort wieder weg«, antwortete Wegmann.
»Bravo«, pflichtete Anna Winkler bei.
Ela verstaute die Zigarette in ihrer Schachtel.
Wiesinger fragte: »Wie lange rauchst du jetzt nicht mehr, Bruno?«
»Nächste Woche wird’s ein Jahr.«
»Hätte nie gedacht, dass du es so lang aushältst.«
»Und ich hätte nicht gedacht, dass du noch fetter werden könntest.«
Der Aktenführer grinste, als sei er stolz auf seinen Umfang.
»Dieser Anwalt – ist das nicht dein Bruder?«, fragte Scholz, an Reuter gewandt und voller Häme.
Reuter beschloss, den Kerl zu ignorieren. »Robert Marthau und Henrike Andermatt waren unterwegs zu einer sogenannten Gangbang-Party, die für zehn Uhr im Hotel Villa Rheinblick angesetzt war und für die Henrike unter dem Pseudonym Lena im Internet um Freier warb.«
Wegmann rieb seinen Boxerzinken. »Wenn das der Richter wüsste.«
»Ein Team sollte hinfahren«, schlug Becker vor. »Vielleicht hat die Party ja auch ohne das Mädchen stattgefunden und wir treffen noch jemanden an. Zeugen aus dem Bekanntenkreis des Mordopfers.«
Scholz erklärte sich bereit, gemeinsam mit Kollegen der Kriminalwache das Hotel aufzusuchen. Für ihn hatte der Dienst erst vor zwei Stunden begonnen. Der MK-Leiter stimmte zu, Scholz verließ das Zimmer.
Reuter fuhr fort: »Die Party muss allerdings nicht zwingend etwas mit dem Mord zu tun haben. Mit Marthaus Hilfe konnten wir vor drei Monaten einen Kokaintransport abfangen, der für Manfred Böhr bestimmt war. Vielleicht ist in der Szene durchgesickert, dass Robby für uns arbeitete.«
Wegmann nickte. »Ein Motiv.«
»Was ihr vermutlich noch nicht wisst: Böhr hat unlängst sämtliche Geschäfte verkauft. Diskos, Fitnessstudio, Wachschutzunternehmen, sogar das Pleasure Dome und das Goldene Einhorn. Ob er sich auch aus dem Kokainbusiness zurückgezogen hat, wissen wir allerdings noch nicht. Marthau kam nicht mehr dazu, uns das zu verraten.«
»An wen verkauft?«
»An einen Unternehmensberater namens Lohmar. Kennt ihn jemand?«
Allgemeines Kopfschütteln.
»Akte?«, fragte Becker.
»Nein. Gegen Lohmar liegt nichts vor. Ein unbescholtener Bürger.«
»Ist das alles?«
»Ja, wieso?« Reuter ärgerte sich über das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »OK-Ermittlungen sind nicht mehr das, was sie mal waren. Wir werden knappgehalten, was den Einsatz von Personal und Technik anbelangt.« Den Seitenblick auf Staatsanwalt Balthus konnte sich Reuter nicht
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