Königsallee
außer Lebensgefahr«, erklärte der Weißkittel. »Aber er hat Glück gehabt. Neben zahlreichen sichtbaren Wunden hat er eine linksseitige Rippenserienfraktur und ein stumpfes Bauchtrauma in Verbindung mit einer Milzruptur erlitten. Er lag mindestens eine Stunde lang unbehandelt in seiner Wohnung. Dabei hat er ziemlich viel Blut verloren. Wir haben ihn sofort operiert und ihm ordentlich Volumen gegeben. Leber, Nieren und die übrigen Organe scheinen intakt zu sein. Im Moment ist Ihr Bruder noch ruhiggestellt. Zur Beobachtung werden wir ihn noch ein paar Tage auf der Station behalten.«
»Wird er wieder vollständig …«
Der Arzt nickte. »Er kann sich bei seinem Schutzengel bedanken und bei seiner robusten Natur.«
Reuter atmete auf. Er befreite sich von der Verkleidung. Den Kittel an den Haken, den Rest in den Müllsack.
Im Vorraum warteten noch immer die beiden Jeansjacken.
»Ist er ansprechbar?«, fragte der Ältere.
Reuter baute sich vor ihm auf. »Du wolltest wissen, was der Deal ist?«
Koslowski grinste.
»Bewegt euren verdammten Arsch. Fragt die Nachbarn, die Angestellten seiner Kanzlei. Erwartete mein Bruder Besuch, hatte er Streit, hat jemand zur tatkritischen Zeit ein Auto gesehen? Und liefert noch heute euren Bericht ab!«
»Wohin hättest du ihn denn gern?« Spott in der Stimme, Bader kicherte.
»KK 11, Mordkommission Feuerwerk, der MK-Leiter heißt Thilo Becker. Und wenn ihr zwei Clowns euren Job nicht sauber macht, dann landet ihr schneller im Schicht-und Wechseldienst, als ihr bis drei zählen könnt. Das ist der Deal!«
Das Einsatzfahrzeug stand vor dem Eingang, wie Reuter es zurückgelassen hatte. Zwei Dicke im Pyjama und ein Junge mit Gipsbein hielten im Freien ihr Schwätzchen und qualmten Zigaretten. Sie gafften Reuter hinterher, als er in den Wagen sprang, das Blaulicht einschaltete und die Reifen durchdrehen ließ.
Reuter fuhr nach Süden, zur Wohnung seines Bruders. Er hatte die Szene vor Augen, die Max Beckmann dargestellt hatte: den Überfall auf die Familie in der Dachmansarde, die Folterknechte und ihren Anführer, der seinem Opfer die Schulter auskugelt.
Die Erkenntnis des Ausgesetztseins in einer gewalttätigen Welt.
Er fischte sein Handy aus dem Sakko und wählte die Nummer seines KK-22-Kollegen Michael Koch, der an Grusew dran war.
»Ja, bitte?« Im Hintergrund lief ein Fernseher. Sportschau, fiel es Reuter ein, letzter Spieltag der Fußball-Bundesliga. Zugleich war Geschirrgeklapper im Hintergrund zu hören – jemand räumte die Spülmaschine aus oder deckte den Tisch.
»Jan hier. Hallo, Michael. Störe ich?«
»Läuft ohnehin nur Werbung im Moment.«
»Was machen deine Ermittlungen?«
»Moment.« Reuter vernahm, wie Koch den Ort wechselte. Es wurde ruhiger. »Bei Grusew herrschte den ganzen Tag Funkstille, soviel ich mitbekommen habe. Nur am Morgen einige Telefonate über das Festnetz. Du weißt, ich war draußen in Ludenberg, um mir sein Domizil anzusehen. Um halb elf ist er in seinem S-Klassen-Benz aufgebrochen. Ich vermute zumindest, dass er drinsaß. An der Autobahnauffahrt Mettmann habe ich die Observation beendet. Hatte weder Zeit noch Lust, ihm stundenlang zu folgen.«
Reuter überlegte: Von Ludenberg nach Unterbach konnte man die A3 benutzen statt quer durch die Stadt zu kreuzen.
Michael fuhr fort: »Wenn du mich fragst, wickelt unser Russki seine Geschäfte über Handys ab, die er gebraucht kauft und ständig wechselt. Das Abhören hat wenig Sinn.«
»Schon etwas übersetzt?«
»Eine Dolmetscherin krieg ich erst am Montag. Warum interessierst du dich plötzlich so brennend für den Kerl?«
»Mein Bruder ist schwer verprügelt worden und liegt auf der Intensivstation.«
»Scheiße …«
»Ich war bei ihm und das Einzige, was er herausbekommen hat, klang so ähnlich wie Grusew. Einstein war in das Artnapping verwickelt. Mein Bruder hat den Rückkauf vermittelt. Das Bild spielt irgendeine Rolle. An Zufälle glaub ich einfach nicht … Michael?«
Für einen Moment hatte Reuter nur Stille am Ohr.
»Michael, bist du noch dran?«
»Ja, ja«, meldete sich Koch. »Ist das wirklich wahr, was du da erzählst?«
»Hast du sonst etwas über Grusew herausgekriegt? Mit wem pflegt er Umgang? Gibt es vielleicht Verbindungen zu Böhr oder zu diesem Lohmar?«
»Wie gesagt, die Übersetzerin kann erst am Montag anfangen. Ich ruf dich an, versprochen.«
»Okay. Alles klar.«
Reuter steckte das Handy ein. Er hatte den benachbarten Stadtteil Unterbach
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