Königsallee
Erleuchtete Fenster, ein Treppenhaus – zwei Personen stiegen die Stufen hoch. Katjas rote Jacke. Im Dachgeschoss gingen die Lichter an.
Reuter hatte einen Maschendrahtzaun im Rücken. Ein Schild: Städtisches Gartenamt, Bezirk 5. Hinter den Maschen eine Baracke. Im Schutz der Dämmerung überwand Reuter den Zaun, kletterte auf einen angebauten Geräteverschlag und hangelte sich von dort auf das Flachdach der Baracke. Beim ersten Versuch rutschte er ab. Er konnte sich wieder fangen, doch sein Handy war aus der Hosentasche geglitten und im Matsch gelandet.
Reuter bezog Posten. Die Zweige einer alten Platane gaben ihm Deckung. Ein Fenster in der Dachgaube. Die Frau von hinten, an einem Tisch sitzend. Sie zog die rote Jacke aus. Der Typ trug das Kleidungsstück weg, dann kehrte er zurück und goss Wein in zwei Gläser. Anstoßen, intensiver Augenkontakt – zumindest stellte Reuter es sich so vor.
Der Wind fuhr kalt durch seine Kleidung und ihm war, als hätte er alles verloren, was ihm wichtig war.
Sein Mobiltelefon meldete sich drei Meter unter ihm. Das Display schimmerte weißlich. Das Klingelgeräusch, das längst für ihn alltäglich geworden war – noch nie hatte er es so klar gehört. Der kurze Triller am Anfang, ein treibender Bass, begleitet vom elektronischen Rhythmus, schließlich die Melodie, die nach billigem Synthesizer klang.
Ein Auto rollte vorbei, dann war es still. Drüben unter dem Dach flackerten Kerzen. Die beiden hielten Händchen wie ein altes Paar.
Reuter fror immer mehr. Ihm wurde bewusst, wie lächerlich es war, was er da tat. Ein Spanner, der die eigene Freundin ausspionierte. Er schimpfte sich einen Loser – nichts wollte er weniger sein als das.
Er trat den Rückweg an und passte auf, dass er nicht wieder ausrutschte. Er zog das Handy aus dem Dreck und säuberte es. Nachdem er zwei Kreuzungen hinter sich gebracht hatte, kontrollierte er die Anrufliste. Das Display zeigte eine Mobilfunknummer, die er nicht kannte. Vielleicht hatte der Anrufer eine Nachricht hinterlassen.
Reuter wählte die Mailbox, die Eins für das Abhören, dann drang Wegmanns Stimme an sein Ohr, atemlos und aufgeregt und immer wieder von Martinshorngeheul übertönt: Wo auch immer du bist, Reuter, beweg deinen Arsch hierher! Grafenberger Wald, Rolander Weg, Ecke Rennbahnstraße, der letzte Parkplatz. Lena ist tot!
Reuter trat das Gaspedal durch. Ihm war, als hätte er es geahnt.
Teil III
Stadt der Narren
Wer das verlor, was du verlorst, macht nirgends Halt.
Friedrich Nietzsche, Vereinsamt
38.
Schon von Weitem sah er das Blaulichtgeflacker.
Reuter ließ das Fenster heruntergleiten und hielt den Dienstausweis in den Fahrtwind. Der erste Kuttenträger winkte ihn durch, der zweite lotste ihn auf den vorderen der beiden Parkplätze, die tagsüber, vor allem an Wochenenden, von zahlreichen Spaziergängern genutzt wurden. Beamte spannten Flatterband quer über den Weg. Die Dämmerung war weit fortgeschritten. Taschenlampen blitzten auf, Lichter glitten über den Waldrand und den aufgeweichten Boden.
Etwa zwei Kilometer Luftlinie waren es von hier bis zu Andermatts Haus in Rath, schätzte Reuter. Und in der anderen Richtung befanden sich hinter der Rennbahn die Bergische Landstraße und Ludenberg – das Viertel, in dem Grusew wohnte, keine drei Kilometer entfernt.
Reuter fiel ein Kollege in Zivil auf, der an einem Baum lehnte, die Hände auf die Knie gestützt – wie nach einem Lauf in hohem Tempo. Im Näherkommen erkannte er Wegmann.
»Was hast du?«
»Geh nicht weiter«, antwortete der Exboxer und richtete sich auf. »Du machst sonst nur Spuren kaputt.«
Reuter blickte hinüber. Tiefe Schatten unter den Bäumen. Dichtes Gebüsch an der Zufahrt zum hinteren Parkplatz, wo der breite Wanderweg begann.
»Gibt es keine Laufleine?«, fragte er – ein Trampelpfad hinüber zum Tatort würde es ermöglichen, spurenschonend zum Opfer zu gelangen.
Wegmann schüttelte den Kopf und bat einen Uniformierten um eine Zigarette. Das Aufflackern eines Feuerzeugs, gieriges Inhalieren. »Außerdem ist es besser, wenn du dir den Anblick ersparst.«
Reuter knipste sein Maglite an und glaubte, zwischen den Sträuchern etwas Helles schimmern zu sehen. »Tatsächlich Henrike Andermatt?«
Wegmann nickte und stieß den Rauch mit angewiderter Miene wieder aus.
»Sprich!«
»Der Arzt wollte sich auf keine Ursache festlegen. Wir müssen die Obduktion abwarten. Anna leitet die Tatortarbeit. Thilo müsste auch gleich da
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