Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
aus.
Ohne auch nur zu ahnen, dass Paul für kurze Zeit in Berlin gewesen war, hatte Magdalena es bald nach ihrer Ankunft in der Stadt gewagt, ein Postfach unter ihrem neuen Namen, AlmaKurz, zu eröffnen. Es war ein Risiko, aber einen knappen, sachlich gehaltenen Brief ohne Unterschrift hatte sie von dort bereits an Pauls Schwester an die Königsberger Adresse gesandt. Egal, wo er sich jetzt befand, man würde ihm sicher diesen Brief nachsenden, und sie hoffte, dass er nicht in falsche Hände geriet. Es war ein letzter verzweifelter Versuch, ein Wagnis, aber sie musste es jetzt eingehen, wenn sie Paul noch einmal wiedersehen wollte!
Als der Arzt Paul schließlich gesund und kriegsdiensttauglich schrieb, meldete er sich ohne zu zögern sogleich wieder bei der Frontleitstelle in Berlin. Die Einteilung begann aufs Neue – diesmal erging ein neuer Marschbefehl an die Woronesch Front nach Ostrogosch, nordwestlich von Stalingrad, an eine militärisch äußerst kritische Stelle in Russland, wenn man den Kessel von Stalingrad ausnahm.
»Ein Brief für Paul Hofmann und die Zeitung«, rief der Postbote Christine zu, die ihm gerade im Morgenmantel die Tür geöffnet hatte.
»Für Paul?«, murmelte Christine abwesend. »Aber der ist doch schon längst wieder fort.« Sie nahm den Umschlag auf und drehte ihn in den Händen. Er kam aus Berlin, aber es stand kein Absender darauf und die Adresse war in Druckbuchstaben geschrieben. Sollte sie ihn öffnen? Oder ihn besser gleich nach Russland in sein Quartier nachsenden? War sicher nichts Wichtiges. Achtlos legte sie ihn mit der Zeitung auf einer Kommode ab.
Magdalenas neues Zuhause in der Berliner Friedrichstraße war ein großes Mietshaus, ein Altbau, in dem Frau Lindental eine halbe Etage im dritten Stock bewohnte. An der schweren Eingangstür prangte ein geschnitzter Löwenkopf, und die hohen Räume, bürgerlich elegant eingerichtet, besaßen aufwendige Stuckdecken. Auch der Flur und das Treppenhaus zeugten vom Wohlstand des Erbauers; es war ganz mit Marmor ausgelegt undverschwenderisch verspiegelt – während man hingegen an den Badezimmern und sanitären Einrichtungen gespart hatte.
Magdalena erhielt das hintere, sehr geräumige Zimmer, das zur Straße hinaus ging und einen mit kleinen Säulen verzierten Balkon besaß. Frau Lindental war froh, Gesellschaft zu haben und zugleich eine Hilfe, die ihr Kohlen aus dem Keller für den Kachelofen heraufholte und ihr auch sonst zur Hand ging, wenn ihr die vielen Treppen zu beschwerlich wurden. Nur eines konnte ihr Magdalena nicht abnehmen: bei Bombenalarm so schnell wie möglich hinunter in den Keller zu laufen. Wie die anderen Mitbewohner beteten sie dann, dass ihr Haus von den Bomben verschont bleiben würde. Die Friedrichstraße wies allerdings bereits beängstigende Lücken auf, in denen ganze Existenzen unter Trümmern und Ruinen begraben lagen. Magdalena jagte dieser Anblick beim ersten Mal großen Schrecken ein, doch Frau Lindental schien sich daran gewöhnt zu haben. Was sollte sie sonst auch machen? Sie war wie alle anderen froh, selbst noch ein Dach über dem Kopf zu haben.
Nach ihrer Bewerbung bei den Maggi-Werken, zuständig für Zulieferungen und Lebensmittelrationierung für die Wehrmacht, wurde Magdalena als Aushilfe am Fließband eingestellt. Sie musste die ratternde Maschine bedienen und überwachen, die Deckel auf Blechdosen mit Gulasch und Wurstpasteten stanzte. Jeden Morgen fuhr sie mit der Straßenbahn aus der grauen, schon erheblich bombengeschädigten Stadt heraus, umgeben von Menschen mit sorgenvollen Mienen. Abends kehrte sie dann wieder zurück, um mit ihrer Zimmerwirtin die einzige Mahlzeit, die abwechselnd aus einer Karotten- oder Erbsensuppe mit Kartoffeln bestand, zu teilen. Als unerhörten Luxus hatte Frau Lindental in besseren Zeiten einen riesigen Topf Schmalz mit Gewürzen und einer Speckseite eingekocht, der auf dem Balkon im Kühlen aufbewahrt wurde. Da sie es auch verstand, selbst aus demschlechten Mehl, das man zugeteilt bekam, wohlschmeckendes Brot zu backen, gab es davon immer einen kleinen Vorrat. Als Höhepunkt der täglichen faden Suppenmahlzeit servierte sie die knusprigen, in der Krume etwas klebrigen Brote, großzügig mit Schmalz bestrichen und einem Stückchen des nach Knoblauch und Majoran schmeckenden Specks garniert. Magdalena aß diese Brote mit großem Genuss und hätte dafür gerne auf die wässrigen Erbsen- oder Rübensuppen verzichtet. Ihr abendlicher, gesunder Appetit
Weitere Kostenlose Bücher