Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
dem Kopf hatte? Es gab viele Gründe, und solange der drohende Schatten einer Festnahme über ihr schwebte, die Gefahr, in einem unbekannten Lager zu verschwinden, schien ihr der Gedanke an ein eigenes Kind völlig absurd. Vor allem aber schämte sie sich ihrer Situation.
»Die Nächste!« Wieder öffnete sich die Tür, und ein Geruch von scharfen Desinfektionsmitteln wehte heraus. Die üppige Dame stand auf, legte gleichmütig ihr Strickzeug in einen Beutel und schritt wiegenden Schrittes so zielbewusst voran, als wäre sie nicht zum ersten Mal hier. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss, und Magdalena blieb allein im Wartezimmer zurück. Sie spürte, wie steigende Erregung, ja beinahe Panik sie überfiel. Wenn sie bloß wüsste, wie alles ablaufen würde! Die mürrische, nachSchweiß riechende Hebamme in der schmutzigen Schürze war ihr jetzt schon in tiefstem Herzen zuwider. Allein der Gedanke, von ihr angefasst oder behandelt zu werden, löste Übelkeit in ihr aus. Kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit schien, öffnete sich die Türe wieder, und sie zwang sich, wie in Trance hindurchzugehen. Sie legte ihren Umschlag in die ohne weiteren Kommentar aufgehaltene Hand der Hebamme, die ihn sofort öffnete, laut die Scheine nachzählte und das Geld dann in eine Schachtel zu den anderen Einnahmen legte. In der Mitte des eher kleinen Raumes stand eine Pritsche, deren Laken noch blutig waren, und davor ein verstellbarer Hocker. Der ätzende Geruch von Karbol, Äther und menschlichen Ausdünstungen lag schwer über dem Raum, dessen Fenster geschlossen waren.
»Ausziehen und rauflegen!«, herrschte die Hebamme sie grob an. »Schnell, der Doktor hat nicht ewig Zeit!« Magdalena sah sich hilflos nach einem Wandschirm oder etwas, hinter dem sie ihre Kleidung ablegen konnte, um. In diesem Moment betrat in weißem Kittel, mit heraufgekrempelten Ärmeln und bis zum Ellenbogen reichenden, grauen Gummihandschuhen der Arzt den Raum. Er sah müde aus, blickte sie nicht einmal an, sondern deutete gleich auf die Pritsche, während er geschäftig mit verschiedenen Bestecken klapperte, die auf einem kleinen Tischchen lagen.
»Na los jetzt, zier dich doch nicht so, Püppchen!«. Die Hebamme verzog ihr rotes, dickbackiges Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Ich helf dir!« Sie trat auf sie zu, während eine penetrante Wolke von Alkoholdunst sie streifte. »Ist auch gleich vorbei! Bisschen Ruhe und du denkst gar nicht mehr dran!« Sie wies in die andere Seite des Raumes. »Diese Tür geht in den Hausgang, da gehst du nachher raus und dann ganz normal auf die Straße, verstehst du? Zu Hause musst du dich natürlich hinlegen, ausruhen, bis alles vorbei ist. Tut ein bisschen weh, aber da darfstdu dann nicht so zimperlich sein.« Mit diesen Worten drängte sie sie zur Liege und machte Anstalten, ihr den Rock einfach hochzustreifen. Magdalena erstarrte, sie sah mit einem Frösteln auf die unsaubere Schürze, das blutige Laken ihrer Vorgängerin und auf die schon benutzten Gummihandschuhe, die der Arzt trug, der sich ihr jetzt mit einer Kürette näherte.
Als Paul in Ostrogosch ankam, war es tiefster Winter. Die Feuerstellung war außer den deutschen Soldaten auch mit einem bunten Völkchen aus Italienern, Rumänen und Ungarn besetzt. Die Fahrzeuge und Ersatzteile, die in dem weiten, dick verschneiten Gebiet zur Verfügung standen und um die er sich als Maschinenbauingenieur kümmern sollte, bestanden zu seinem Schrecken aus irgendwo aufgelesenem Schrott und zum Teil »organisierten« Fahrzeugen aus Frankreich. In der 5. Batterie, zu der er eingeteilt war, musste vieles einfach improvisiert werden, und das machte die kritische Lage nicht gerade besser. Disziplin und Moral erwiesen sich als fragwürdig, und der Kampfesmut angesichts der schlechten Nachrichten, die aus dem eingekesselten Stalingrad kamen, war gebrochen. Es herrschte allgemeine Unsicherheit in der zusammengewürfelten Truppe, deren Ausrüstung und Ordnung mehr als mangelhaft war.
Pauls Quartier bestand aus einem einfachen, aber stabilen Holzhäuschen mit einer Schreibstube; ein in dieser Gegend unerhörter Luxus, den er mit einem Kameraden namens Karl Hellwig teilte. Abwechselnd musste einer von ihnen in die Feuerstellung, wobei Karl manchmal als Fahrer fungierte, während Paul aufgrund seiner Kenntnisse über Maschinen den sogenannten »Fahrzeugpark« betreute und zusätzlich auch schriftliche Arbeiten erledigte. Doch für Letzteres
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