Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
stand jedoch in völligem Kontrast zu ihrem morgendlichen Unwohlsein, über das sich Frau Lindental so ihre Gedanken machte. Eines Tages äußerte sie unumwunden ihre Besorgnis:
»Liebes Kind, ich halte es für sehr ungesund, wenn Sie aus dem Haus gehen, ohne zu frühstücken! Essen Sie doch wenigstens ein Stückchen Brot! Hier, ich habe Ihnen auch etwas Rübensirup drauf gestrichen …«
»Ich kann wirklich nicht, ich …«, Magdalena stockte, warf einen Blick auf den glibberigen braunen Sirup und spürte schon wieder, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte und das bekannte Würgen in ihre Kehle stieg. Sie schaffte es nicht mehr hinauszulaufen und beugte sich über den Putzeimer in der Ecke. Als sie den Kopf hob und aufstand, sah sie in die forschenden Augen Frau Lindentals.
»Sie sind schwanger, nicht wahr?«, fragte diese sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Sie nickte, setzte sich auf den Stuhl am Küchentisch und sah mit ausdrucksloser Miene auf das Muster der gelben Tischdecke. »Ja«, sagte sie, »aber ich will das Kind nicht! Auf gar keinen Fall. Der Mann hat mich erpresst.«
»So etwas habe ich mir gedacht! Aber was wollen Sie denn tun?«, fragte Frau Lindental mit ratloser Miene und ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl fallen.
»Ich suche einen Arzt!«, sagte eine Magdalena entschlossen,
»und ich werde bestimmt einen finden, der mich von dieser Last befreit!«
Ein Schweigen entstand, in dem keine der beiden Frauen ein Wort sagte. »Ich habe niemals ein Kind gehabt...«, begann Frau Lindental schließlich mit schleppender Stimme, in eine unbestimmte Ferne sehend.
»... und ich will keins, nicht jetzt und vor allem nicht von einem Mann, den ich gar nicht liebe!«, unterbrach Magdalena aufbrausend. »Verzeihen Sie Frau Lindental … aber ich muss jetzt gehen, sonst bekomme ich die Straßenbahn nicht mehr.« Sie ging zur Tür, doch dann wandte sie sich mit einem schwachen Lächeln noch einmal zurück. »Ich würde natürlich verstehen, wenn Sie mich unter … unter diesen Umständen nicht bei sich behalten wollen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie ihre Tasche und lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter. Die weißhaarige Frau auf dem Küchenstuhl sah ihr nach, schüttelte den Kopf und seufzte. Hoffentlich machte sie keine Dummheiten – das junge Mädchen war ihr ans Herz gewachsen, sie war wie die Tochter, die sie sich zwar gewünscht, aber nie bekommen hatte.
Als Magdalena zwei Tage später die Arztpraxis im Hinterhof des grauen, etwas verwahrlosten Hauses in der Bismarckstrasse betrat und sich in das muffige Wartezimmer setzte, in dem die Tapete abzublättern begann, fühlte sie sich so elend wie noch nie zuvor. Ihr Gewissen meldete sich: Hatte sie überhaupt ein Recht, das Ungeborene zu töten? Sie schob die Gedanken beiseite und sah verstohlen zu den anderen beiden Frauen hinüber, ein sehr junges Mädchen, fast noch ein Kind, das ihre Hände im Schoß über ihrer Geldbörse verschränkt hatte, und eine üppige Frau mit rot geschminkten Lippen in einem tief ausgeschnittenen Kleid, die mit ihrem Strickzeug klapperte und geruhsam eine Masche nach der anderen aufnahm. Waren sie aus dem gleichenAnlass da wie sie? Sie zwang sich, ruhig sitzen zu bleiben. Schließlich hatte sie einen guten Grund für das, was sie tun wollte. Ihr Kind sollte von dem Mann sein, den sie liebte und nicht von einem Zyniker, der sie nur benutzt hatte! Sie erschrak fast, als sich die Tür öffnete und eine dicke Frau mit einer schmuddeligen Schürze, die deutliche Blutspritzer verunzierten, mürrisch murmelte: »Die Nächste bitte …« Ihre kalten Augen wanderten taxierend über die Wartenden. »Halten Sie Ihr Geld bereit. Der Herr Doktor will, dass im Voraus bezahlt wird.«
Das junge Mädchen umkrampfte ihre Börse, sprang hoch und folgte ihr, während die Strickende nur kurz aufsah. Magdalenas Herz begann, unruhig zu klopfen. Was stand ihr bevor? Die Minuten zogen sich, und sie horchte angestrengt auf die gedämpften Geräusche hinter der Tür, Gesprächsfetzen, Klappern und manchmal etwas, das wie undeutliches Stöhnen klang.
Frau Lindental hatte zu Hause mit Engelszungen auf sie eingeredet, ihr angeboten, sie und das Kind bei sich zu behalten, doch Magdalena konnte zu all ihren Vorschlägen nur den Kopf schütteln. Eine ledige Mutter! Niemand wusste, was die ungewisse Zukunft brachte. Was sollte sie mit einem Kind anfangen, wenn sie nicht einmal ein eigenes Dach über
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