Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Theo, von dem sie so lange nichts gehört hatte, und an Gertraud, ihre Schwester. Wer hatte damals voraussehen können, was alles passieren würde, dass eine so teuflische, alles vernichtende Woge über ihnen zusammenschlagen, ihre Familie aus ihrer friedlichen Existenz herausreißen und vernichten würde?
Inzwischen wuchs Magdalenas Umfang beträchtlich, das kleine Wesen in ihr regte sich, und sie war froh, der feisten Hebamme mit der schmutzigen Schürze entkommen zu sein. Alle paar Tage schaute Willi zu einer Tasse Tee vorbei, sie plauderten ein wenig und fühlten sich beinahe wie eine kleine Familie. Er war ein gut aussehender Junge mit einem markanten Gesicht, dunklem, dichtem Haar, das er mit einer Tolle über der Stirn frisierte, und Vertrauen erweckenden, graugrünen Augen. Tagsüber arbeitete er an einem der Radargeräte des Flugmeldedienstes, der die feindlichen Jagdflugzeuge und englischen Lancaster Maschinen ortete. Somit war er einer der ersten, der über die Angriffe des Gegners Bescheid wusste und die Nachricht zur Flugabwehr weiterleitete. Auch ihm schien es mittlerweile bedenklich, dass es immer schwerer wurde, durch Fernlenkwaffen, Flak oder Abfangen die todbringenden Bomber auszuschalten. Die Menge der Bomben, die zurzeit auf die Stadt herabfielen, war so zahlreich, dass Berlin bereits zur Hälfte zerstört war. Trotz dieser Tatsachen hoffte auch er, dass die Wunderwaffe, die Hitler immernoch als letzten Triumph anpries, die entscheidende Wendung einleiten würde.
Magdalena begann, sich auf Willis häufige Besuche zu freuen, er brachte oft irgendwelche süßen Leckereien mit, die er, wer weiß woher, organisiert hatte; Haferflockenplätzchen oder aus Zucker in der Pfanne gebrannte, grobe Bonbons, die er Toffee nannte. Auf jeden Fall war es etwas, das man in den Lebensmittelläden nicht bekommen konnte.
»Mmmh, wo hast du das bloß her?«, fragte Magdalena und ließ ein Stück des braun gerösteten Zuckers auf der Zunge zergehen. Willi lächelte mit rätselhafter Miene. »Mein Geheimnis. Hauptsache, es schmeckt dir!« Er packte noch ein paar Dosen auf den Tisch und legte ein Stück Margarine dazu. »Meine Ration, aber ich brauch sie nicht. Du musst ja schließlich für zwei essen!« Er ließ seinen Blick über ihren schon recht gerundeten Bauch gleiten.
Frau Lindental brachte den Tee, goss ihn vorsichtig in die Tassen ihres besten Geschirrs auf der gestickten Spitzendecke und betrachtete die beiden mit verständnisvollen Blicken. Willi war wirklich ein lieber Kerl und er schien sich bei ihnen sehr wohl zu fühlen.
»Sag mal, Willi, sind deine Eltern auch aus Berlin? Wo wohnst du eigentlich?«, fragte Magdalena und nahm sich ein weiteres Stück des gerösteten Zuckers aus der kleinen Schale.
Willi senkte den Kopf. »Ich lebe allein – hab nur ein kleines Zimmer in Wedding, eine Mansarde unter dem Dach, nicht der Rede wert. Mein Vater ist tot und meine Mutter …«, er musste schlucken, »hat sich mit einem Säufer zusammengetan. Er ist kriegsversehrt, hat ein Bein verloren. Ich hasse ihn – ein jähzorniger Typ, der meine Mutter geschlagen und mich tyrannisiert hat.« Er sah an die Wand, als gäbe es auf dem Muster der Tapete irgendetwas zu entdecken. »Irgendwann bin ich abgehauen … sie sind weggezogen, ich weiß nicht mal wohin.«
Betretene Stille herrschte einen Moment, und man hörte nur das Ticken der Wanduhr und das Klirren der Tasse, die Frau Lindental gerade auf ihren Unterteller stellte.
»Wenn ich mal eine Familie habe, dann muss das ganz anders aussehen!« Er sah Magdalena bedeutungsvoll an, die verlegen den Blick abwandte. »Meine Frau würde ich immer mit Respekt behandeln.«
»Noch ein Brot?«, fragte Frau Lindental in das eingetretene Schweigen. »Junge Leute wie Sie haben doch immer Hunger.« Sie hielt ihm den Teller mit einer Scheibe ihres gerade gebackenen, mit Kleie gestreckten Schmalzbrotes hin.
»Auch dann, wenn sie ein Kind von einem anderen Mann hätte?«, fragte Magdalena. Willi biss in das Brot, und man sah ihm an, dass er angestrengt nachdachte.
»Es käme darauf an«, sagte er dann vorsichtig, »ob sie ihn vergessen und ein neues Leben beginnen wollte.«
Vorsichtig legte er den Arm um Magdalenas Schultern, und sie ließ es geschehen. Es war angenehm, seine Wärme zu fühlen, seinen starken Arm, auf den sie sich stützen konnte.
Plötzlich läutete es eindringlich und lang anhaltend an der Tür. Es klang unangenehm, penetrant und wiederholte sich nach
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