Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
unerbittlich von all den Menschen trennte, die sie liebte. Aber dann, wenn die Hölle der Bombenabwürfe begann, deren krachender Einschlag sich in das Geheul der heranrasenden Flieger mischte, wenn die Fenster zitterten, das Haus an allen Enden zu beben begann, dann stürzte sie in letzter Minute doch noch nach unten in die schwarze Dunkelheit des Kellers, der die halbherzige Illusion vermittelte, vor dem losbrechenden Chaos Schutz zu bieten.
Eines Tages, als mitten in der Nacht die Sirenen heulten, wurde sie auf der Treppe von einem so scharfen und durchdringenden Schmerz getroffen, als hätte man ihr ein Messer in den Bauch gestoßen.
»Was ist, was hast du?«, fragte Willi und versuchte, sie mit sich zu ziehen. »Ich kann nicht!«, stöhnte Magdalena und schrie erneut auf. »Das Kind – ich glaube es ist so weit!« Wasser, mit Blut vermischt, lief an ihren Beinen herab und bildete auf dem Boden eine Lache.
»Du musst ins Krankenhaus!«
»Nein, ich geh nicht dahin. Hol eine Hebamme!«
»Das ist unmöglich! Wo soll ich in diesem Augenblick eine Hebamme herholen?« Willi packte sie, hob sie hoch und trug sie auf seinen Armen so schnell er konnte in den Keller, wo er die Wimmernde auf eine alte Decke am Boden bettete. Die Wehen kamen nun öfter und heftiger, und Willi, der keine Ahnung hatte, wie eine Geburt ablief, hielt beunruhigt ihre Hand, während die anderen Hausbewohner ängstlich zu ihnen hinüberschielten und beteten, dass der Angriff bald vorübergehen möge. Dann endlich kam die Entwarnung, und Willi ließ Magdalena in der Obhut der zweier Frauen zurück, um in einem der Notlazarette Hilfe zu holen. Draußen war in einer dichten Wolke von Staub, Rauch und Feuer kaum etwas zu erkennen. Zwei Häuser in der Straßenzeile waren verwüstet und in Trümmern, und in der nächsten Straße bot sich ein ähnliches Bild. Er stolperte über Geröll, kletterte über Schutthalden und tiefe Löcher und wich lichterloh brennenden Gebäudeteilen aus. Es war schwer, sich zu orientieren. Einen vorbeilaufenden Sanitäter, der gerade mit der Versorgung und dem Transport der Verletzten beschäftigt war, hielt er an und fragte ihn um Rat. Mit einer Kurzanweisung zur Geburtshilfe und zahlreichen Mullbinden bewaffnet, machte er sich mit einem mulmigen Gefühl im Nacken auf den Rückweg. Doch schon auf den Stufen zum Keller empfing ihn das hohe, geradezu empörte Schreien eines Neugeborenen. Er lief hinunter, wo ihn Magdalena, immer noch auf der Decke liegend, mit einem schwachen Lächeln empfing. Sie hielt das blutverschmierte Kind im Arm, das man in einen alten Pullover gewickelt hatte. Daneben dampfte ein Topf mit kochendem Wasser, mit dem eine junge Frau aus dem Haus, die selbst drei Kinder hatte, die Haushaltsschere desinfiziert hatte, um das Kind abzunabeln. »Du bist ein paar Minuten zu spät«, sagte Magdalena matt und hielt ihm das Neugeborene entgegen.
»Es ist ein Mädchen! Ich möchte es …«, sie überlegte nur kurz, »Paula nennen.«
Willi nahm das Kind vorsichtig auf den Arm. Es zappelte, schrie, war runzlig und voller Blut. Er sagte nichts, aber er fand Paula abschreckend hässlich. Behutsam trug er das schreiende Bündel nach oben, legte es aufs Bett und richtete das Lager für die erschöpfte Mutter her. Wer hätte geglaubt, dass er so schnell eine Rolle übernehmen würde, die ihm noch vor einigen Monaten nicht mal im Traum eingefallen wäre?
Aber wie sollten sie beide das bloß schaffen, hier oben in der engen Mansarde, mit einem Kind? Er wagte nicht, darüber nachzudenken und bedankte sich bei der freundlichen Nachbarin, die so gute Geburtshilfe geleistet hatte, mit zwei Dosen Sardinen aus ihrer eisernen Reserve. Zusammen mit ihrem stämmigen Ehemann gelang es kurze Zeit später auch, Magdalena nach oben in die Mansarde und endlich in ein richtiges Bett zu transportieren.
Die nächsten Monate verliefen unruhig. Das Kind schrie nachts, und Magdalena, die trotz Mangelernährung stillte, erholte sich nur sehr langsam. Nach einer Erkältung hustete sie unablässig – und das Hinauf und Hinunter in den staubigen Keller verursachte ihr starke Atemnot. Der Arzt, der von Zeit zu Zeit nach ihr sah, zuckte die Schultern und befürchtete einen Schaden an der Lunge. Aber ohne Röntgengerät war es unmöglich, eine genaue Diagnose zu stellen.
Eines Tages kam Willi ganz aufgeregt, eine Sonderausgabe der Zeitung schwenkend, nach Hause. »Ein Attentat!«, rief er schon an der Tür. »Stell dir vor, man hat ein
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