Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Glases zu Boden fallen. Sie lief in den Salon. Aus den Scherben einer zerbrochenen Karaffe und dazugehörigen Gläsern stieg ihr der scharfe und gleichzeitig süßliche Geruch von Alkohol in die Nase. Dazwischen kniete Mama im Nachthemd und schaute mit einem glasigen Blick zu ihr auf. »Oh … pardon«, stammelte sie, »es ist nichts. Nur – eine kleine ›Bêtise‹«, lallte sie verlegen, die französische Umschreibung für Unannehmlichkeit wählend, und starrte auf die Bescherung vor ihr. Ihre Hand blutete, weil sie in die Splitter gegriffen hatte. Ein Speichelfaden rann ihr über das Kinn und ihre Haare waren zerzaust.
»Schon gut, Mama, ich mach das gleich weg!« Mit einem Gefühl inneren Entsetzens half Magdalena ihr auf und führte sie zum Sessel. Noch nie hatte sie ihre immer so beherrschte und gepflegte Mutter in einem solchen Zustand gesehen! Mit zitternden Fingern suchte sie in dem kleinen Medikamentenschrank bei der Anrichte nach einem Pflaster und verarztete die Teilnahmslose. Dann holte sie rasch einen Lappen und eine Kehrschaufel aus der Besenkammer und wischte die klebrige Lache vom Boden auf, bevor irgendjemand die Bescherung sehen konnte.
Die Mutter starrte immer noch hilflos, mehr im Sessel hängend als sitzend, vor sich hin. So eindeutig betrunken war sie noch nie gewesen, und ihr Anblick jagte Magdalena schreckliche Angst ein. »Gib mir noch was – ich brauch das jetzt unbedingt«, stammelte die Mutter, ohne recht zu wissen, was sie sagte und wie es wirkte, »dann wird alles leichter. Glaub mir, Kind … «
In diesem Moment klingelte es. Gertraud und Theo mussten aus der Schule zurück sein – aber sie durften ihre Mutter auf keinen Fall in diesem Zustand sehen! Was sollte sie bloß tun? Sie hörte die Schritte des Hausmädchens, das im Begriff war, die Türzu öffnen. »Du musst ins Bett, Mama«, sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, »komm, ich helfe dir. Ich bringe dir auch gleich noch was ins Zimmer!«
»Aber sofort, hörst du?«, quengelte die Mutter in kindlichem Ton. »Etwas Starkes – was mich wieder auf die Beine bringt! Ich fühl mich so komisch.«
Von draußen ertönte das übliche Gezänke zwischen Gertraud und Theo wegen irgendwelcher nichtiger Kleinigkeiten. Magdalena packte die Mutter energisch unter den Achseln und führte sie über die kleinere Treppe des Salons in den ersten Stock hinauf. Hoffentlich kam Doktor Grabert bald, damit sie mit ihm über Mama sprechen konnte! Ob er schon wusste, dass die Migräneanfälle seiner Patientin eigentlich Alkoholexzesse waren, mit denen sie sich in letzter Zeit betäubte?
Im Esszimmer begann das Eindecken für die Mittagstafel, das Großmutter Louise wie gewöhnlich selbst überwachte. Magdalena war sicher, dass sie diesmal keinen Bissen herunterbrachte – sie würde einen Teil ihres Essens für Hanna und Jakob beiseite stellen. Ja, und die Essigumschläge für den kranken Kleinen! Das hätte sie beinahe vergessen! Mit bebenden Händen wrang sie ein paar alte Küchenhandtücher unter kaltem Wasser aus und kippte, ohne dass die Köchin es sehen konnte, ein wenig Essig darauf. Jetzt musste sie nur noch abwarten, bis alle an der Tafel saßen, bevor sie Essen und Umschläge nach oben zu Hanna bringen konnte. Schon wieder läutete es an der Tür. Das Hausmädchen meldete ausgerechnet Anton Schäfer und führte ihn herein.
»Ich hoffe, ich störe nicht, aber ich war gerade auf dem Weg und wollte nur einmal sehen, wie es dir geht!« Anton schien sichtlich verlegen. »Ich habe in der Mittagspause zufällig Marga, deine Kommilitonin, getroffen. Die sagte, du seiest krank!«
»Ach, ist schon fast vorbei!«, sagte Magdalena und bot Anton einen Platz an, obwohl sie ihn am liebsten rausgeschmissen hätte. Doch das wäre in ihrer Situation äußerst unklug gewesen.»Kopfweh! Ich hab nicht gut geschlafen. Möchtest du mit uns essen?«
»Nein danke, sehr liebenswürdig«, lehnte Anton höflich ab. »Aber eigentlich bin ich hauptsächlich gekommen, weil ich dich und deine Familie persönlich einladen wollte – zu einem Festakt der NSDAP in einer Woche, bei dem Ehrungen und Auszeichnungen für verschiedene Soldaten aus Königsberg vergeben werden. Die offizielle Einladung kommt natürlich noch.« Er tat geheimnisvoll. »Ich dürfte ja nicht darüber sprechen – aber dein Bruder Lutz ist auch dabei, posthum, meine ich!«
Magdalena gab es einen Stich ins Herz. Wie naiv war Anton eigentlich? Sie fühlte, wie Wut in ihr
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