Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Alkoholfahne schlug Paul entgegen, als er sich ihm näherte und eine russische Schimpfkanonade auf ihn niederprasseln ließ, von der er nicht das Geringste verstand. Nicht ohne Furcht sah er ihm entgegen, aber er wich nicht zurück, als dieser mit der Faust vor seinem Gesicht herumfuchtelte.
»Beruhigen Sie sich!«, versuchte er ihn so kühl wie möglich in seinem gebrochenem Russisch anzusprechen. »Das … das ist alles ganz harmlos! Sie hat mich nur verhört...«
Er kam nicht dazu, weiter zu reden, denn der Offizier hatte ihm einen Faustschlag versetzt, bei dem er zu Boden stürzte. Schon holte er wieder aus, und Paul duckte sich zur Seite. Doch zu seinem Erstaunen hielt der Betrunkene plötzlich inne und begann irr zu lachen.
»Haha«, grunzte er. »Haha … haha …« Sein ganzer, kräftiger und muskulöser Körper wurde von diesem Lachen geschüttelt, und er trat noch einen Schritt auf ihn zu, ihn unverwandt ansehend. Doch dann wurde er ernst und seine Mundwinkel zogen sich grimmig nach unten. Er machte die Bewegung des Halsabschneidens und stieß kehlig und stockend, aber für Paul verständlich, hervor: »Du deutscher Teufel – ich dich umbringen!«
Paul erhob sich taumelnd. Sterne tanzten vor seinen Augen und in seinen Ohren summte es. Der Russe stieß ihn mit einem gutturalen Laut grob vor die Brust und zog dann die Pistole aus dem Koppel. Langsam hob er den Arm und kniff ein Auge zusammen, um besser zielen zu können, während Paul immer weiter vor ihm zurückwich. Er spürte, wie sich seine Nackenhaaresträubten und er zur Unbeweglichkeit erstarrte. Jetzt war alles aus.
Doch dann warf Anouschka, die sich zuerst in die Ecke der Zelle zurückgezogen hatte, sich plötzlich dazwischen. Die Pistole fiel zu Boden. Der bullige Offizier stürzte sich jetzt wie ein rasender Stier auf sie und brüllte: »Kurwa!« (Hure) Er packte sie bei den langen, schwarzen Haaren und umschloss ihre Kehle mit eisernem Griff. Die junge Frau stöhnte und würgte, als er erbarmungslos zudrückte. In diesem Augenblick gab es eine gewaltige Detonation, die den gesamten Bunker bis in die Grundfesten erschütterte und die Ohren ertauben ließ. Fjodor stolperte und fiel mit Anouschka zu Boden. Alarm schrillte. Die Wachen, die auf die Hilfeschreie und den Tumult in der Zelle herbeigeeilt waren, liefen zum Rapport. In der allgemeinen Verwirrung packte Paul die Pistole, die zu Boden geglitten war, versetzte Fjodor, der sich erheben wollte, einen kräftigen Stiefeltritt und zog Anouschka mit sich aus der Zelle, deren Tür er von außen ins Schloss schnappen ließ.
Sie liefen den Gang entlang, der in seinen Grundfesten erzitterte, und mit leichtem Schaudern dachte Paul einen kurzen Moment an die schweren deutschen Werfer, die mit ihrer unfehlbaren Reichweite selbst stärkste Betonplatten durchschlugen. Sollten ihn jetzt wie unter einem Fluch die eigenen Landsleute treffen? Wieder erschütterten starke Detonationen das Gebäude, Mauerteile fielen herab, und weißer Staub breitete sich wie eine Wolke vor ihnen aus. Die Wachen flüchteten mit ihnen in blinder Hast. Er folgte Anouschka nach Luft ringend durch die feuchten Gänge, und sie rannten um ihr Leben durch den engen Felsentunnel, der stellenweise bereits eingebrochen war. In fieberhafter Eile kletterten sie über im Weg liegenden Schutt und Betonteile, während aufeinander folgende, immer heftigere Erschütterungen Putz und Erde herabrieseln ließen und nun auch größere Brocken den Durchgang versperrten. Gerade, als sie denAusgang erreicht hatten, blitzte eine neue, schwere Explosion wie ein Feuerball auf. Mit seinem siebten Sinn für Gefahr riss Paul Anouschka mit sich zu Boden und rollte sich mit ihr zur Seite in einen Graben.
Magdalena hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Am Morgen fühlte sie sich wie gerädert. Was für eine vertrackte Lage! Wie sollte es weitergehen mit den Flüchtlingen im Haus? Wie lange konnte sie Hanna und den kleinen Jakob dort oben auf dem Dachboden verbergen, ohne dass irgendjemand Wind davon bekam? Sollte sie nicht doch die Mutter ins Vertrauen ziehen? Aber Frau von Walden schien es heute nicht sehr gut zu gehen, denn als Magdalena leise die Tür zu dem um diese Zeit noch verdunkelten Schlafzimmer öffnete, tönte ihr die fremd scheinende, schleppende Stimme der Mutter unwirsch entgegen, man solle sie in Ruhe lassen, da sie schlecht geschlafen habe. Magdalena wusste nicht, was sie davon halten sollte; seit Jahren war sie als Stütze der
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