Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
Familie immer die Erste gewesen, die in aller Frühe auf den Beinen war. Und so verwarf sie den Gedanken wieder, sie einzuweihen. Mama war nicht mehr die gleiche couragierte und lebenstüchtige Frau wie vordem – der plötzliche Tod des Vaters im letzten Jahr, dann der von Lutz – all das hatte etwas in ihr zerbrochen. Seit sie trank und abwechselnd Beruhigungs- und Schmerzmittel nahm, konnte man nicht mehr vernünftig mit ihr reden. Oma Louise schied ebenfalls aus – hatte sie doch aus einer gewissen Abneigung gegen die Juden nie ein Hehl gemacht. Unwohlsein vorschützend, beschloss sie, heute nicht in die Universität zu gehen, um erst einmal zu überlegen, was zu tun sei. In der Zeitung, dem Volksboten, der in der Diele lag, leuchtete ihr die Schlagzeile in fetten Druckbuchstaben entgegen: Juden raus aus Königsberg! Darunter stand ein Bericht über die vergangene nächtliche Blitzaktion, die angeblich schon lange fällig gewesene Deportierung jüdischer Mitbürger aus der Stadt in ein außerhalbgelegenes Lager. Hochtrabend war noch erwähnt, dass die von den Juden unrechtmäßig erworbenen Gelder und Gebäude konfisziert seien und dem deutschen Staat nun wieder zugeführt würden. Das bedeutete wohl nichts anderes, als dass Hanna und ihre Mutter ihr ganzes Vermögen verloren hatten und ihr Haus nie mehr betreten durften! Ein zum Himmel schreiendes Unrecht – aber wie musste erst Hanna das empfinden? Würde sie ihre Mutter, ihren Bruder Felix jemals wieder sehen? Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihr das alles erklären sollte!
Als Gertraud und Paul in der Schule waren und Louise mit dem Hausmädchen zum Einkaufen ging, holte sie heimlich Essen und Getränke aus der Küche und schleppte alles hinauf auf den Dachboden. Vorsichtig zog sie die Luke herunter, die erneut erbärmlich quietschte und in den Angeln knarrte.
Hannas übermüdetes und blasses Gesicht erschien in der Öffnung. Sie lächelte Magdalena dankbar an, als diese ihr Brot, Butter und warme Milch hinaufreichte. »Jakob ist erst im Morgengrauen eingeschlafen«, flüsterte sie halblaut, »er war die ganze Nacht so unruhig und wollte zu Mama. Er hatte Alpträume und Angst vor den bösen Männern, die ins Haus kamen und sie mitgenommen haben! Ich habe selbst kein Auge zugetan, musste ihn beruhigen und erzählen, wir blieben jetzt so lange hier, bis Mutter wieder kommt.« Bang und mit ängstlichem Ausdruck setzte sie hinzu: »Hast du etwas erfahren können, wohin man sie gebracht hat – wohin der Transport gegangen ist?«
Magdalena schüttelte wortlos den Kopf. Es hatte keinen Zweck, Hanna mit dem Zeitungsbericht noch mehr in Angst zu versetzen. Sie tropfte Schmieröl auf die eingerosteten Scharniere und bewegte die Luke hin und her, bis kein Geräusch mehr zu hören war. »Reich mir die Wasserkaraffe, die leeren Teller und alles, was du da oben nicht mehr brauchen kannst.«
Verschämt reichte Hanna ihr auch den Eimer mit den Exkrementen hinunter, die sich nur auf diese Weise entsorgen ließen.
»Wir müssen abwarten!«, sagte Magdalena, so beruhigend sie es vermochte. »Ich komme später wieder und bring dir etwas zu lesen. Dann können wir überlegen, was wir unternehmen werden. Ich versuche auf jeden Fall, etwas in Erfahrung zu bringen. Allzu lange kannst du schließlich nicht hier in dem engen Loch verbringen.«
Unten begegnete ihr Louise, die gerade aus der Stadt zurückgekehrt war. Ihr silbernes Haar war tadellos frisiert, die rosigen Bäckchen gepudert und der weiße Blusenkragen mit der dezenten Spitze hoch geschlossen. Wie immer umgab sie ein zarter Duft von Lavendel und Seife. Magdalena kannte die Großmutter, die auf Stil hielt, nicht anders, hatte sie auch tagsüber noch nie nachlässig gekleidet oder gar im Morgenmantel gesehen.
»Ich sehe, es geht dir wieder besser, mein Kind«, sie bedachte Magdalena mit einem kritischen Blick, »aber eine simple Magenverstimmung sollte dich auf keinen Fall davon abhalten, deine Bücher vorzunehmen!«
»Was ist eigentlich mit Mama los?«, fragte Magdalena, um das Thema zu wechseln. »Sie liegt immer noch im Bett! Dabei ist sie doch gar nicht krank.«
Das Gesicht der Großmutter blieb unbewegt. »Das kannst du nicht beurteilen. Deine Mutter hatte immer schon Anfälle starker Migräne! Sie ist in dieser Hinsicht sehr empfindlich. Aber ich werde vorsichtshalber Doktor Grabert kommen lassen. Soll er auch einmal nach dir schauen?«
»Nein, nein«, erwiderte Magdalena hastig, »es geht mir schon
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