Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
aus dieser Richtung keine Strahlen senden kann und somit für die Licht bringende Maurerei hier nutzlos bleibt. Die Oberen nahmen im Osten ihre Plätze ein, wo die Sonne aufgeht, unter einem Baldachin als Sinnbild des Himmels. Vor ihnen erhob sich der Altar mit der Säule der Weisheit, zu dem drei Stufen hinaufführten – er trug die ›drei großen Lichter‹: Bibel, Winkelmaß und Zirkel. Die Lehrlinge und Gesellen saßen im Norden, während im Süden und Westen dieSäulen der Stärke und der Schönheit aufgestellt waren. Auf den drei Säulen brannten die drei ›kleineren Lichter‹ – Kerzen, welche den Tag (die Sonne), die Nacht (den Mond) und den Meister vom Stuhl (den Regenten der Loge) bedeuteten.
In der Mitte des Raumes unterm Dach des ›Cöllnischen Römers‹ lag ein Teppich ausgebreitet, der den Arbeitstisch darstellte. Er wurde als ›Grundriss des Salomonischen Tempels‹ bezeichnet und zeigte auf seinem Rande in kleinen bildlichen Zeichen die freimaurerischen Sinnbilder – den flammenden Stern, die Fransen, das Mosaik, das Winkelmaß, die Wasserwaage, das Senkblei, den rauen Stein, den Würfel, das Reißbrett, die Kelle, den Hammer, den Zirkel sowie Sonne und Mond.
Fünfzehn Männer in schwarzen Roben und weißen Handschuhen, einem Hut auf dem Kopf und einem Schurz aus weißem Lammfell um die Hüfte, warteten bereits seit geraumer Zeit um den Teppich versammelt. Das Weiß der Handschuhe und des Felles symbolisierten ihren reinen, lauteren Lebenswandel und ihre aufrichtige Gesinnung, während der Schurz daran erinnern sollte, dass sie Arbeiter waren und im Dienste der Menschheit standen. Unter ihnen befanden sich, wie in jedem richtigen Vereine, neben dem Vorsitzenden ein Schatzmeister, ein Schriftführer und mehrere Aufseher. Sämtlichen Mitgliedern des Vorstands hingen Winkelmaß, Wasserwaage oder Senkblei an königsblauen Bändern um die Hälse.
Heute Abend waren alle Grade zusammengetreten: Lehrlinge, Gesellen und Meister, um in der ›Lehrlingsloge‹ drei neue Mitglieder aufzunehmen. Doch bisher hatten sich nur zwei der Kandidaten im Vorbereitungszimmer, einem Nebenraum des eigentlichen Logensaales, eingefunden. Alexander von Marquard, Oberst im Regiment Prinz Heinrich, schimpfte kaum verhalten und schielte dabei zum zweiten Novizen des Abends hin, einen Verbündeten für seinen Ärger suchend.
»Franzose. Das war doch klar. Die kommen noch zu ihrer eigenen Beerdigung zu spät!«
Doch Baron von Beeren, ein vornehm dreinschauender Jüngling, der von Marquards Schätzung nach kaum älter als 20 Jahre war, wusste mit militärischen Pünktlichkeitsbegriffen rein gar nichts anzufangen. Es interessierte ihn nicht sonderlich zu erfahren, wer der Dritte im Bunde sein sollte, auf den sie, da der Hochmittag (die zwölfte Nachmittagsstunde) schon längst verstrichen war, augenscheinlich noch zu warten hatten. Er war eigens nach Berlin gekommen, um Mitglied der Stadtloge zu werden. Der Name des Gasthofs, in dem er abgestiegen war – er hieß: ›Zur Neuen Welt‹ – kam ihm sehr passend und beziehungsreich vor, da er sich genau dies von den maurerischen Aktivitäten erwartete: eine neue, edlere Welt, in der gegenseitige Anteilnahme, Menschlichkeit und Freude regieren würden. Sobald er die unteren Grade durchlaufen hätte, das plante er, würde er in seiner Heimat unweit Berlins ebenfalls eine Loge begründen. Dieser Abend war somit von einiger Wichtigkeit für ihn. Mochte der Mensch mit seiner albernen Uniform neben ihm nur nörgeln und quaken, das machte ihm nichts. Auch die triste Ambience und der kaschemmenhafte Name der Gastwirtschaft, in der die Aufnahmehandlung erfolgen sollte, konnten ihm die hohe Meinung von dem Bevorstehenden nicht nehmen.
»Der dritte Lichtsuchende ist angekommen. Oder das, was von ihm übrig ist …«, hörte er plötzlich den Türsteher in den angrenzenden Raum rufen, wo von Bielfeld und Jordan standen.
Jordan erschrak über diese kryptische Andeutung und sprang die Stiege hinab. Doch die Sorge war unnötig, denn er fand in der Kutsche einen zwar rauschhaft-schläfrigen aber sehr lebendig sägenden Langustier, der es willenlos mit sich geschehen ließ, dass ihn drei Mann stützend, schiebend, ziehend, schleppend aus dem Wagen bugsierten und die Treppen des ›Cöllnischen Römers‹ hinauf bis unters Dach bewegten.
»Terriblement! Was nun?«
Der Freiherr Jakob Friedrich von Bielfeld zeigte sich ratlos. Doch Jordan, der sich schnell wieder gefasst hatte, resümierte
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