Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)

Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)

Titel: Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
Fragment seiner Lebensgeschichte? Wenn man diesen Splitter einer ›Erinnerung‹ ernst nahm, hätte man auf die Idee kommen können, der vorgebliche ›König‹ dieser Fabel sei der jüngst verschiedene Grobian … Aber es musste wohl erfunden sein, wie es scheinbar in der Natur dieses verqueren Menschen lag. Gewiss eine Fantasie. Nicht ohne Esprit, aber erfunden. Langustier legte das Blatt kopfschüttelnd zur Seite und besah sich den Rest.
    Da gab es mehrere Drucksachen: eine Karte der ›Gräfflich Hohenfliessischen Lande‹, bunt, mit vielerlei handschriftlichen Einträgen. Soweit Langustier die mikroskopischen Buchstabenfolgen, die stellenweise von Wassertropfen bis zur Unkenntlichkeit aufgelöst und verwischt worden waren, zu entziffern vermochte, bezogen sich diese Notizen auf montanistische und chemische Werkstätten, Eisen- und Buntmetallerzgruben in den Bergen, Hüttenwerke, Farbenfabriken und Gärtnereien rund um ein kleines Städtchen namens ›Hohenfließ‹.
    Der Schreiber war zweifelsohne vor Ort gewesen, hatte die kleine Karte in vier Quarrées zerteilt und auf ein festes graues Wachstuch aufgezogen, um sie zu sachdienlichen Einträgen zu nutzen. Einmal hatte er wohl gar versucht, in einer Kutsche zu schreiben, denn der Seismograph der Schrift war schlechterdings nicht zu entziffern.
    Von der gleichen Hand, indes nicht in der Eile und unter Raumnot, sondern an einem ruhigen Orte verfasst, schienen drei weitere eng beschriebene Seiten zu stammen, die eine Art abschließendes Dossier zu dieser ›Befahrung der Gräfflich Hohenfliessischen Lande‹ darstellten.
    Zu jedem Punkt auf der Karte gab es darin knappe Erläuterungen, außerdem Kurzbeschreibungen verschiedener Bergbau- und Fabrikationsverfahren, etwa der Azuritverarbeitung und des Kobaltglasschmelzens mit tabellarisch aufgelisteten Ertragszahlen. Die Namen der Steiger und Hüttendirektoren, der Fabrikanten und Glasbläser fehlten nicht, ein Verweis auf die wichtigsten Gasthöfe des Städtchens war ebenso beigegeben wie eine allgemeinere, atmosphärische Charakteristik von Land und Leuten. Sogar die Melodie des Volksliedes »Er lebt, er lebt, ist herrlich erwacht!« aus der Feder eines Cantors aus Detmold, das sich auf einen der glorreichen Vertreter des Geschlechtes der souveränen Landgrafen von Hohenfließ, Fürsten von Edenkoben, Katzenellenbogen, Bebra, Naumhain, Sintermühlen etc. etc. pp. bezog, war nicht ausgespart. Langustier musste diesem Memorandum als einem Musterbeispiel an Fleiß, Accuratesse, Umsicht und Weltläufigkeit sein vollstes Lob zollen, obgleich er weder begriff, wozu es gut sein sollte, noch die geringste Ahnung von den Materien hatte, um die sich sein technisch wirtschaftlicher Teil drehte. So hätte ihn wohl der Name des Verfassers gleichfalls herzlich kalt gelassen, wäre dies nicht der Oberst von Marquard gewesen! Er zwang sich, etwas anderes in der kunstvoll verschlungenen Signatur zu lesen, doch es gelang nicht: ›Alexander Borromäus von Marquard.‹ Der Aufstrich des M war nach unten verlängert und lief in ein kunstvolles Gewebe aus, das den ganzen Namenszug umfloss und die Nüchternheit des vorangegangenen Berichts nur doppelt hervorhob.
    Marquard als Spion des Königs, als Spion Falckenbergs – in des Königs Auftrag? Das machte eine Verbindung der beiden Morde mehr als wahrscheinlich. Langustier war gespannt auf Jordans Gesicht, wenn er ihm davon berichten würde. Doch die Rolle des entsprungenen Dieners Andersohn blieb ihm weiterhin völlig unklar. Das seltsame Fragment war nicht einzuordnen.
    Indes drängte es ihn, mehr über diesen ominösen Ort herauszufinden, an dem – wie eine gedruckte Anzeige aus dem ›Amts- und Intelligenz-Blatt‹bekannt machte – sogar ein achtbarer Tulpenzuchtbetrieb ansässig war und eine nie gekannte, sehr kostbare ›Tulipa aquamarina‹ für den vermögenden Sammler anbot: eine Hybrid-Sorte mit gezackten tiefblauen Blütenblättern und goldgelbem Innenstern.
    Die Landesbeschreibung konnte zumindest die gröbste Neugier befriedigen. Mitten zwischen den Grafschaften Mansfeld und Hohnstein gelegen, war der Zwergstaat, der aus wenig mehr als dem Städtchen und einigen Berg-, Wald- und Hüttenarbeitersiedlungen in seiner Umgebung bestand, eine winzige Lücke in der Kette preußischer Ländereien Richtung Südwesten. Die entscheidende Bedeutung des Territoriums war sein auffälliger Reichtum an Bodenschätzen und Fachleuten zu ihrer Verarbeitung. Die regierenden Landgrafen

Weitere Kostenlose Bücher