Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Weihnachtstag brachte noch mehr Schnee. Glitzernd türmte er sich im Garten und auf den Bürgersteigen, verbarg alle Kanten und Ecken unter weichen Hauben. Ich schaufelte den ganzen Tag die Wege durch den Garten frei und zwar ohne einen Feuer- oder Windzauber zu Hilfe zu nehmen, obwohl ich in Anbetracht der Schneemassen mehrmals in Versuchung geriet. Doch ich wollte mich anstrengen. Nicht weil ich die Bilder in meinem Kopf loswerden wollte. Nein, ich bereute nicht zu wissen, was ich erfahren hatte. Doch ich spürte den Moment, als meine Eltern gegangen waren so schmerzhaft, als ob es eben gerade passiert wäre. Ich wollte den Schmerz wieder loswerden und nicht nur ihn, auch die Angst vor den Morlems und den Ärger über die magische Gesellschaft, die mir die Beziehung zu Adam verbot und die Freundschaft zu Paul und nicht nur das, da war noch ein schlimmerer Schmerz, der mich quälte. Der Moment, als Adam mich vor vier Jahren verlassen hatte, hatte mich völlig zerstört.
Ich keuchte, während ich den Bürgersteig freischaufelte, doch die Anstrengung nutzte nichts. Der Schmerz blieb und auch das Unbehagen und ich wusste, dass es an der Zeit war zu reden. Ich war meiner Großmutter tagelang aus dem Weg gegangen, hatte Müdigkeit und Erschöpfung vorgeschoben, um das Unvermeidliche aufzuschieben. Als sich die Dunkelheit schon über die leeren Gärten legte und die Weihnachtsbeleuchtungen in den Fenstern und Vorgärten ansprangen, räumte ich den Schneeschieber endlich in den Schuppen und ging mit schweren Schritten ins Haus.
In mir sträubte sich alles dagegen. Sie war meine einzige lebende Verwandte. Sie hatte mich mit Liebe aufgezogen. Auch ich liebte sie, doch das Wissen, dass sie mich meiner Erinnerungen beraubt hatte, verdunkelte diese Liebe. Ich ging ins Atelier, wo meine Großmutter schon in ihrem Sessel saß und in das Feuer blickte. Der Weihnachtsbaum leuchtete unter tausend Lichtern und der kleine Tisch war mit dem guten Porzellan gedeckt. Als ich den Raum betrat, wandte sie sich mir zu und musterte eine Weile meine Miene. Nein, schrie es in mir. Ich wollte das nicht kaputt machen.
„Geht es dir gut?“, fragte meine Großmutter. Ich biss die Zähne zusammen, bis mein Kiefer knirschte.
„Nein“, flüsterte ich. Ich schaffte es nicht zu lügen, obwohl ich es wollte. Wir sahen uns an und ich überlegte fieberhaft, wie ich dieses Gespräch führen konnte, ohne die Wut, die in mir tobte, herauszulassen. Die Wut würde alles kaputt machen.
„Lass uns heute am Weihnachtsabend nicht streiten!“, sagte meine Großmutter, als ob sie wieder einmal ahnte, was in mir vorging. Ach so! Heile Welt unterm Tannenbaum! Der Gedanke tanzte verlockend durch meinen Kopf. Warum eigentlich nicht? Streit war kein gutes Mittel, um ein Problem zu klären. Vielleicht, wenn ich mich endlich beruhigt hätte, könnten wir die Sache vernünftig besprechen. Ich setzte mich ihr gegenüber in den anderen Sessel und meine Großmutter goss uns Kaffee ein.
Als ich am flackernden Feuer in dem warmen Licht der vielen Kerzen saß und umhüllt vom köstlichen Duft der bevorstehenden Mahlzeit meine Geschenke betrachtete, ließ ich den Moment zu. Ich schaffte es, das schmerzhafte Brodeln in meinem Inneren zu unterdrücken und erlaubte mir diese friedliche Pause.
Ich griff zu einem flachen, blauen Paket, dass ich von Paul bekommen hatte und riss das Papier ab. Es war ein Bilderrahmen, in dem ein dreidimensionales Bild von einer malerischen Küste steckte. Es schien so echt zu sein, dass ich mit dem Finger gegen die Oberfläche tippte, um zu prüfen, ob mein Finger in dem azurblauen Wasser verschwand.
„Beeindruckend, sieh mal!“, sagte ich zu meiner Großmutter und gab ihr den Bilderrahmen.
„Schön!“ Sie strich ebenfalls vorsichtig über das Bild.
„Das ist Pauls Geschäftsidee“, erklärte ich, nachdem ich die kleine Karte gelesen hatte, die am Geschenkband hing. „Man kann damit direkt von der Kamera Bilder zum Bilderrahmen senden.“ Fasziniert betrachtete ich das Bild noch einmal. Wie ein Bergpanorama wohl aussehen würde?
„Weißt du, woran mich das erinnert?“, seufzte meine Großmutter.
„Daran, dass du im Sommer Urlaub am Meer machen solltest?“, schlug ich vor.
„Nein“, lachte sie.
„Es erinnert mich an den Lieblingsplatz von Catherina. Deine Mutter liebte das Meer und sie nahm deinen Vater und dann auch euch Kinder jeden Sommer mit zu einer winzig kleinen Insel im Mittelmeer. Sie heißt Kileandros, ein
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