Koenigsblut - Die Akasha-Chronik
Erinnerungen genommen?“, fragte ich lauter. Der Zorn, den ich nicht mehr unterdrücken konnte, klang hindurch. Endlich wandte sich meine Großmutter um. Ich sah ihr schmerzverzerrtes Gesicht, doch ich hatte kein Mitleid, die Wut war stärker.
„Warum?“, schrie ich. Anstelle einer Antwort bewegte meine Großmutter die Hände. Die Splitter der Kanne flogen quer durch den Raum und sie setzte sich wieder zusammen. Als wieder Ordnung in der Küche herrschte, kam sie auf mich zu. Ihre Miene war leer.
„Ich habe dir deine Erinnerungen genommen, weil sie dich gequält haben. Weil dich der Schmerz nicht schlafen ließ, weil du Albträume hattest und geschrien hast im Schlaf und zwar jede Nacht. Von den Augen, die dich lockten, der Stimme die dich rief, deiner Mutter, die dich verlassen hatte. Du warst völlig verstört, du hast nicht mehr geschlafen, nicht mehr gesprochen und nicht mehr gegessen. Verstehst du nicht, dass ich das nicht mehr ertragen habe. Ich wollte dir helfen und habe dir den schlimmsten Schmerz genommen, damit du überhaupt weiterleben konntest.“
„Warum hast du mir die Erinnerungen an Adam genommen?“, bohrte ich weiter, noch immer nicht besänftigt.
„Weil er dir den Tod bringt!“, schrie sie. „Und ich nicht will, dass du stirbst. Nicht du auch noch.“
„Ich habe nicht vor zu sterben“, entgegnete ich aufgebracht. „Ich will leben, aber ich will glücklich sein und glücklich werde ich mit Adam und nicht, wenn ich einsam und allein hier im Garten sitze. Ich habe meine Entscheidung getroffen.“ Entschlossen sah ich meine Großmutter an.
„Du bist wie deine Mutter, genauso waghalsig und egoistisch“, warf sie mir entgegen.
„Meine Mutter war nicht egoistisch, sie hat dafür gekämpft, das Leben für alle besser zu machen.“
„Was hat es ihr gebracht? Den Tod und nicht nur ihr. Toni, Leandro und Lydia sind ebenfalls tot und du warst völlig verwirrt.“ Zornig schleuderte sie mir die Worte entgegen.
„Ich werde jedenfalls kämpfen, um ihren Mörder zu finden und ihr Werk zu Ende zu bringen, damit sie nicht umsonst gestorben sind.“ Ich hatte nicht vorgehabt, das meiner Großmutter zu sagen. Es war einfach so herausgerutscht, aber es war die Wahrheit. Erschrocken sah sie mich an. Eine Spur Mitleid überkam mich. Was sie getan hatte, war nicht richtig gewesen, aber böse Absichten hatte sie damit nie verfolgt.
„Lass es sein!“, bat sie.
„Ich werde mich nicht unnötig in Gefahr bringen“, sagte ich jetzt ruhiger. „Glaube mir!“ Ich versuchte versöhnlich zu lächeln.
„Ich werde dich nicht abhalten können, Selma. Du bist volljährig und kannst deine Entscheidungen selbst treffen.“ Sie sah aus, als ob sie innerhalb von Minuten um Jahre gealtert war. „Ich möchte jetzt allein sein. Gute Nacht!“ Wortlos sah ich ihr nach, wie sie davonging.
Es war ein seltsames Gefühl, als sie sich von mir entfernte und es tat weh. Ich blieb allein in der Küche sitzen, genauso wie ich allein in meinem Leben war. Sie wollte mich vor der Welt bewahren, vor der schlechten, grausamen Welt. Das war eigentlich kein Verbrechen, aber davon verschwand die Welt nicht einfach und jetzt musste ich mich ihr allein stellen.
Silvester
Am Silvesterabend knirschte der Frost immer noch erbarmungslos und ließ jedes Leben erstarren. Ich stand im Flur und trug bereits meine dicke Winterausstattung, Mantel, Schal und Mütze. Jeden Moment würde Adam hier sein. Ich ging ein wenig im Raum auf und ab, denn ich hatte nichts mehr zu tun, was mich ablenken konnte. So vieles hatte sich verändert, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Ich wusste endlich, woher diese geheimnisvolle Anziehungskraft kam, die von ihm ausging. Es war jetzt alles so viel klarer. Schon in unserer Kindheit hatten wir den Grundstein für das Vertrauen gelegt, das uns so stark miteinander verband, dass es nicht einmal die Knollenbeeren hatten völlig unterdrücken können.
In den letzten Stunden war ich meinem Vorsatz untreu geworden und hatte mir immer wieder versucht auszumalen, wie der Abend verlaufen würde. Ich scheiterte kläglich, zu viel war ungewiss. Für mich waren die Erinnerungen an meine Vergangenheit neu, doch Adam wusste die ganze Zeit über jedes Detail Bescheid. Trotzdem war seine Vernunft stärker gewesen. Die logischen Gründe, die gegen unsere Beziehung sprachen, wogen für ihn schwerer. Warum hatte er mich also eingeladen? Unruhig ging ich in mein Zimmer und lief eine Weile vor meinem Bett auf und
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