Königsjagd
den Krieg einzutreten, aber sie könnten die Lage Englands durchaus als Vorwand benutzen, um Gibraltar zurückzufordern. Und bei einem solchen Spiel möchte ich auf keinen Fall als Schachfigur dienen.«
»Du traust de Alvarez also nicht?«
»Ich traue den Falangisten in Madrid ebensowenig wie allen anderen Faschisten. An dieser Sache könnte mehr sein, als auf den ersten Blick sichtbar ist, Wallis. Viel mehr.«
Bei seinem unnachahmlichen Lächeln bildeten sich wieder viele kleine Falten um seine Augen. Er umfaßte ihre Taille. »Ich muß allerdings zugeben, daß die ganze Sache einigermaßen aufregend ist.«
6
Die Zelle war sehr klein und hatte weißgekalkte Zementwände. Fast antiseptisch sauber. In die Decke war eine Lampe eingelassen, und in der Ecke stand eine schmale Eisenpritsche ohne Matratze. Eine kalte, weiße Zementwabe.
Hanna saß auf dem Pritschenrand, noch wie betäubt von den Ereignissen, so daß sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Es war beinahe wie im Traum, wie in einem jener Alpträume, an die man sich morgens nur noch schwach erinnert und die dann schnell verblassen. Die verzweifelte Flucht im Korridor des Nachtclubs, die bockende Maschinenpistole in ihren Händen, der Geruch von Kordit. Und Onkel Max? Wo mochte er jetzt sein?
Ihr Bauch tat noch weh von dem Schlag, und als sie ihn berührte, stieg eine gallebittere Flüssigkeit in ihrer Kehle hoch, so daß sie schnell aufstehen und zu dem Kübel laufen mußte.
Heydrich, der sie durch den Spion in der Tür beobachtete, nickte dem Hauptsturmführer Berg zu; Berg war der VerhörSpezialist der Gestapo, den er bei solchen Gelegenheiten hinzuzog. »Jetzt«, sagte er zu Berg. »Öffnen Sie.«
Das Geräusch der zurückgeschobenen Riegel schien Hanna nicht zu beeindrucken. Sie beugte sich immer noch über den Kübel und starrte die Wand vor sich an, so daß Berg sie hochziehen mußte. Heydrich zündete sich eine Zigarette an und blieb mit gespreizten Beinen vor ihr stehen. Als er dann sprach, klang seine Stimme unbewegt. »Sie sind ja eine ganz Ausgekochte. Zwei meiner besten Männer tot. Drei andere im Krankenhaus - einer davon in kritischem Zustand. Sie haben Sie gut ausgebildet, Ihre Leute. Das perfekte Deutsch. Genau wie eine richtige Berlinerin, sehr überzeugend!«
»Ich bin in Berlin geboren. Meine Mutter und mein Großvater auch. Das wissen Sie. Als ich klein war, haben wir zu Hause in New York immer deutsch gesprochen.«
Er wandte sich an Berg. »Ausziehen. Gründlich durchsuchen. Ich bin in ein paar Minuten wieder da.«
Heydrich ging in den Korridor und weiter zum Hauptwachzimmer, um sich telefonisch zu erkundigen, wie es den Überlebenden des Gemetzels im Garden Room ging.
Als er in die Zelle zurückkehrte, stand Hanna nackt, die Hände vor Brust und Scham, mitten im Raum. Ihre Kleider waren auf der Pritsche ausgebreitet.
Der Zweck der Übung, die Verwendung männlicher Befragungspersonen, gehörte zu einer psychologisch entwickelten Prozedur, die darauf abzielte, Schuld- und Schamgefühle im Opfer zu wecken und das allgemeine Entfremdungssyndrom zu verstärken. Hanna zeigte freilich keinerlei Bewegung und starrte weiterhin auf die Wand.
»Wir haben eine Goldader getroffen, Obergruppenführer«, sagte Berg. »Das hatte sie oben in einen Strumpf gesteckt.«
Heydrich faltete die Kopie des Windsor-Berichts auseinander. »Ausgezeichnet. Jetzt sehen wir endlich, wo es langgeht.« Er gab ihr mit dem zusammengefalteten Bericht einen leichten Klaps auf die Wange. »Keine Ahnung, wovon ich redete, ja? Ich habe eben mit dem Krankenhaus telefoniert, und wissen Sie, was man mir gesagt hat? Der dritte Mann, dessen Zustand ernst war, ist soeben gestorben.« Er packte sie an den Haaren und schüttelte ihren Kopf brutal hin und her. »Verdammte Hexe - das ist dreifacher Mord.«
Aber sie fühlte keinen Schmerz, nicht die Spur von Schmerz, es war, als stünde sie neben sich selbst und schaute nur zu. »Ihr Onkel, wohin ist er gegangen?«
Ihre Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen, wie ein schwaches Echo: »Ich weiß es nicht.«
Heydrich stieß sie beiseite. »Ziehen Sie sich an«, befahl er barsch. Berg sagte leise: »Sie ist noch im Schockzustand. Ich habe es bei Leuten wie ihr schon oft erlebt. Sie leben jahrelang mit dem Gedanken daran - an die Verhaftung, meine ich. Wenn es dann soweit ist, versuchen sie, die Tatsache zu leugnen. Sie tun so, als wäre es nicht
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