Königsjagd
Leuten zu gehen.«
»Wann?«
»Noch heute nacht. In Lissabon. Ich glaube, ich kenne den Mann, mit dem man unter diesen Umständen reden muß.«
Sie stand vor ihm, blickte zu ihm auf und gab ihm unvermittelt einen Kuß auf die Wange. Dann trat sie wieder ins Wohnzimmer. Jackson blieb noch eine ganze Weile auf der Veranda, nachdem die Tür sich geschlossen hatte, ging dann hinaus und stieg wieder in seinen Wagen.
Der malerischste Teil Lissabons ist zweifellos die Altstadt, die Alfama. Sie wird beherrscht vom Castelo de Sao Jorge, in dessen Ruinen heute Enten, weiße Pfauen und andere exotische Vögel leben.
Joe Jackson parkte den Mercedes auf einem kleinen Platz in der Alfama und betrat das Gewirr von Gäßchen, die meist nur so breit waren, daß zwei Esel aneinander vorbei konnten. Tagsüber herrschte hier reges Treiben, die Gassen wimmelten von Marktfrauen und ihren Kundinnen; doch zu dieser frühen Morgenstunde war alles still. Dann und wann wurde das Dunkel vom Licht einer der Straßenlaternen an den alten Mauern unterbrochen. Wenn sich einer der schmalen Gänge zum Hang hin öffnete, erblickte er unten den Tejo und die Lichter der Hafenanlagen, wo gerade ein Frachter zum Meer hinausglitt.
Er erreichte schließlich einen Platz hinter der Kathedrale und blieb vor einem Gebäude stehen, das früher ein Adelspalais gewesen war. Über der Eingangswölbung war ein Wappen in den Stein gehauen; das alte Eichentor war mit Eisen beschlagen.
Er zog an der Kette der Hausglocke. Nach einer Weile wurde eine kleine, in das Tor eingelassene Tür geöffnet, die sofort danach wieder zufiel. Er hörte, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde, und dann machte ein kleiner, dunkelhaariger Herr in einem weißen Smoking das große Tor auf und trat zurück, um ihn einzulassen. »Senhor Joe - ich freue mich«, sagte er auf portugiesisch.
»Hallo, Tomás!«
Jackson ging in einen Innenhof, der mit maurischen Fliesen belegt war. In der Mitte sprudelte eine Fontäne. Er folgte Tomás durch einen Botengang in einen gemütlichen Raum, der als Bar eingerichtet war. An den kleinen Tischen saßen Mädchen, die auf Kundschaft zu warten schienen und der Eleganz der Umgebung entsprachen: schöne junge Frauen, nach der neuesten Mode gekleidet.
»Ich habe gehört, heute abend sei ein großes Spiel in Nummer vier.« Tomás nickte: »Ja, Poker.«
»Dann muß Major Frear da sein, schwitzend wie immer.«
»Ja, schon seit zwei Stunden.«
»Sagen Sie ihm, ich würde ihn gern sprechen.«
»Es wird ihm nicht gefallen, Senhor Joe. Ich glaube, er hat gerade eine Glückssträhne.«
»Ich bin auf der Terrasse«, sagte Joe. »Wenn er nicht in fünf Minuten da ist, hole ich ihn.«
Tomás zuckte die Achseln und ging hinaus. Jackson wandte sich an das blonde Mädchen hinter der Bar: »Champagner für die Damen, und für mich das Übliche.«
Er öffnete eine Fenstertür und trat hinaus. Die Terrasse mit dem Dach aus Weinreben bot einen herrlichen Ausblick auf den Fluß, und in der Dunkelheit blitzten einige vereinzelte Lichter unter den Dächern der Alfama. Das Barmädchen brachte ihm einen Brandy-Soda in einem schweren Kristallglas mit zerstoßenem Eis, und er beugte sich über die Brüstung und fragte sich plötzlich, was er hier tat.
Joe Jackson war dreißig. Sein Vater, ein methodistischer Geistlicher, hatte längst nicht so viel Einfluß auf ihn ausgeübt wie sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, Grant Hayward, der im Ersten Weltkrieg bei der Escadrille Lafayette in Frankreich geflogen war. Der Junge war mit Gesprächen über das Fliegen großgeworden, und seine Helden hatten Richthofen, Rickenbacker, Bishop und Mannock geheißen.
Mit zwölf Jahren wußte er, daß man unter 10000 Fuß nie allein über die feindliche Linie flog und möglichst ständig die Sonne im Rücken behalten mußte. Mit sechzehn hatte er dank des Unterrichts, den sein Onkel ihm am Wochenende gegeben hatte, zum erstenmal selbst den Steuerknüppel in der Hand, und mit neunzehn enttäuschte er seinen Vater, indem er nach dem ersten Studienjahr von Harvard abging und ernsthaft mit der Fliegerei anfing.
Er war als Jägerpilot ausgebildet worden, aber die strikte Disziplin des Militärs wurde ihm lästig, so daß er 1933 den Abschied nahm, um in Brasilien Postmaschinen zu fliegen.
Dann hatte er eine Weile in Französisch-Somaliland gearbeitet und während des italienischen Äthiopienfeldzugs Waffen von Djibouti nach
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