Königskinder
nur weh, wenn er nicht da ist.« Sie seufzte. »Aber er tut nichts, wenn er bei mir ist. Er gibt nichts. Er nimmt nicht einmal etwas. Das ist vielleicht das Schlimmste an ihm: Dass er einfach nur da ist.«
Ich war zuerst überfordert, als meine Mutter mir das erzählte. Ich verstand es nicht. Jahrelang war sie depressiv gewesen, einsam und unglücklich. Dann war Karl in ihr Leben gekommen, und sie war aufgeblüht. Sie schien doch glücklich gewesen zu sein. Wo war das Problem?
»Männer sind Placebos«, fuhr meine Mutter fort. »Für eine Weile glauben wir, dass sie uns heilen. Aber jetzt habe ich kapiert, dass sie uns nur davon abhalten, uns selbst zu heilen.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. War das weise, was sie sagte, oder fiel meine Mutter zurück in ihre selbstbemitleidende Depression? Doch dann sah sie mich an, nahm meine Hände und sagte voller Überzeugung: »Männer sind eine Illusion, Saraswati! Eine Fata Morgana. Sie sind das unerreichbare Ziel, auf das wir unentwegt zusteuern. Und dabei vergessen wir völlig, unseren eigentlichen Weg zu gehen.«
Es traf mich wie ein Blitz. Sie hatte recht! Meine Mutter hatte mein eigenes Problem in Worte gefasst. Sie hatte die Konsequenz gezogen, die ich längst auch hätte ziehen müssen. Es war Zeit, dass ich meinen Weg ging, ohne auf die Zuneigung, die Anerkennung, die Liebe und das Begehren irgendwelcher Männer zu hoffen. Es war höchste Zeit, dass ich mich in mich selbst verliebte!
Ich umarmte meine Mutter, küsste sie und sagte: »Alles wird gut.«
Sie lächelte.
»Und wo ist Papa?«, fragte ich.
»In Groningen, bei Sky und Lulle auf dem Hof. Vermutlich bekifft.«
»Er hat geweint, als er mir am Telefon von eurer Trennung erzählt hat«, sagte ich.
»Es ist ja auch nicht so, dass er mich nicht mochte.« Das war ein seltsamer Satz. Ein Satz, in dem irgendwie mehr drinzustecken schien, als man im ersten Moment erkannte. Aber ich hakte nicht weiter nach. Ich würde Karl anrufen. Ich würde ihn fragen, wie es ihm ging. Vielleicht würde ich ihn in Holland besuchen, oder wohin es ihn auch sonst als Nächstes verschlagen würde. Ich war ja nicht sauer auf meinen Vater. Er tat mir leid. Er konnte nichts dafür. Es war einfach so, wie es war.
Ich zog von Berlin zurück nach Hamburg, mietete mir eine kleine Wohnung in Wandsbek, an der Grenze zu Marienthal. Ja: Ich zog genau dorthin zurück, wo ich mal hergekommen bin. Unglaublich viele Menschen tun das. Und fast allen ist es irgendwie ein wenig peinlich. Ich nahm einen Halbtagsjob bei Media Markt an, wo ich Haushaltsgeräte verkaufte – Toaster und Kaffeemaschinen und so etwas –, und abends ging ich wieder zur Schule. Ich holte mein Abitur nach! Und dann würde ich studieren: Politikwissenschaften und BWL. Die eine Hälfte, weil es meine Leidenschaft war, die andere, weil ich auch praktisch denken musste. Das Studium sollte schließlich auch zu einem Job führen. Ich wollte ja nicht als Taxifahrerin enden.
Kapitel 18
2003–2005
2003 lief es für eine Menge Leute wirklich schlecht: Dieter Bohlen trennte sich endgültig von Thomas Anders, auch die No Angels lösten sich auf, Roy wurde von einem Tiger angekaut, und Siegfried konnte ihm nicht helfen. Saddam Hussein wurde aus einem Erdloch gezerrt, aus dem er gar nicht herauswollte, Jürgen Möllemanns Fallschirm öffnete sich nicht, und ausgerechnet Moralapostel Michel Friedmann wurde mit Nutten und Koks erwischt.
Mein Vater aber war glücklich: Er heiratete im kleinen Kreis seine langjährige Freundin Gitte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, offiziell eine Stiefmutter zu bekommen. Die beiden lebten zwar schon seit Jahren zusammen und ich mochte die mollige, fröhliche, fürsorgliche Frau, die meinen Vater zurück ins Leben geholt hatte. Doch jetzt ersetzte sie nicht nur praktisch, sondern hochoffiziell meine Mutter. Sie wurde »die Frau« meines Vaters. Das tat irgendwie dann doch ein kleines bisschen weh. Es war kein reißender Schmerz, der mir zusetzte; mehr ein fiesen Zwicken im Herzen. Als würde ich meine Mutter verraten, wenn ich mich für die beiden freute. Andererseits glaubte ich zu wissen, dass meine Mutter meinem Vater alles Gute wünschen würde, wenn sie könnte. So war sie gewesen.
Doch diese Eheschließung war nicht wirklich die große Neuigkeit. Der wirkliche Hammer war, dass mein Papa und meine neue Mutter nach der Hochzeit ihre Sachen packten und nach Mallorca zogen. Für immer. Mein Vater war frischgebackener Rentner und
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