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Königskinder

Königskinder

Titel: Königskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Gricksch
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geworfen.«
    Manchmal erzählt Hassan echt einen ziemlichen Scheiß.
    *
    Wir verbrachten mehrere Stunden auf dem Polizeirevier. Während Alabama Karl mit den anderen Randalierern in einer großen Zelle hockte, bekam ich eine Bluna-Limonade und durfte auf einem Hocker neben einem Polizisten am Schreibtisch sitzen. Ich hörte zu, während der Polizist die Daten der zahlreichen Demonstranten aufnahm, die an diesem Tag festgenommen worden waren. Einige motzten herum, viele aber waren erstaunlich ruhig. Und einige sahen ganz schön fertig aus, so als ob sie gleich losheulen würden. Als ob sie sich wünschten, niemals an dieser Demo teilgenommen zu haben.
    Ich hatte die Polizisten mehrmals gefragt, was mit dem Jungen sei, der aus dem Fenster gefallen war, ob er noch lebte oder ob man ihn totgetrampelt hatte. Aber keiner wusste, wovon ich redete. Vielleicht wollten sie es vertuschen, dass sie ein Kind getötet hatten? So wie ich vergeblich zu vertuschen versucht hatte, dass mir die chinesische Teekanne zerbrochen war, die meine Mama so geliebt hatte. Vielleicht hatte sich der Junge aber auch rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Ja, wahrscheinlich war das so. Einen toten Jungen konnte man ja nicht so einfach in einen Müllcontainer werfen wie Porzellanscherben.
    Meine Angst und Verwirrung hatte sich gelegt und ich begann, die ganze Sache recht interessant zu finden. Ich wünschte allerdings, dass meine Mama da wäre. Aber die war ja in Gorleben. Und das Handy war noch nicht erfunden.
    Irgendwann brachte ein Polizist Karl herein. Er sah erschöpft aus. Als er mich sah, lächelte er aber und strich mir über den Kopf. »Alles okay, du Rockerbraut?«, fragte er grinsend.
    Ich nickte.
    Karl setzte sich dem Polizisten gegenüber. Der Polizist schaute ihn grimmig an. »Wie kann man ein kleines Kind mit auf so eine Demonstration mitnehmen?«, fragte er vorwurfsvoll.
    »Wir sind da nur reingeraten«, erklärte Karl. »Wir wohnen da und wollten zum Markt.«
    Der Polizist rümpfte die Nase. Er war sich nicht sicher, ob er Karl glauben sollte. Er zog drei Formulare, zwischen denen zwei Bögen Blaupapier gelegt waren, in seine Schreibmaschine. Er nahm Karls Namen und seine Adresse auf; dass er in der Barnerstraße wohnte, schien seine Behauptung zu belegen, dass er kein Demonstrant war.
    »In welcher Beziehung stehen sie zu dem Mädchen?«, fragte der Polizist.
    Karl räusperte sich.
    »Er ist mein Freund!«, sagte ich hoheitsvoll, wofür ich einen irritierten Blick des Polizisten erntete. Er traute Hippies wahrscheinlich alles zu, auch, dass sie Kinderschänder waren.
    »Nun?«, drängte er Karl mit einem bohrenden Blick zu einer Antwort.
    Karl sah betreten zu Boden.
    »Sie ist meine Tochter«, murmelte er schließlich.

    Man sollte meinen, dass es mich schlicht vom Hocker gehauen hätte zu erfahren, dass Alabama Karl mein Vater ist. Dass ich eine Alabama Simone war. Doch weißt du was: Wenn du die ersten zehn Jahre deines Lebens zwischen Hippies und Haschisch, Verschwörungstheorien, Anhängern der freien Liebe, horoskophörigen, hennarot gefärbten Frauen und ständig wechselnden, Käpt’n-Nuss -klauenden Liebhabern deiner Mutter verbracht hättest, würde dich auch nichts mehr so richtig schocken.
    Natürlich habe ich gestaunt. Natürlich habe ich ihn angeschrien, wie er mir das verheimlichen konnte. Natürlich habe ich ihm vorgeworfen, er würde sich ja wohl für mich schämen, sonst hätte er sich doch nur zu gern zu mir bekannt. Und natürlich habe ich meine Mutter angekeift, dass es voll fies und spießig und gar nicht gut für das Karma wäre, seine eigene Tochter anzulügen – aber unterm Strich war ich einfach froh, endlich einen Vater zu haben. Vor allem einen, den ich mochte.
    »Warum hast du es mir nicht gesagt?«, fragte ich Alabama Papa einige Wochen nach der Enthüllung auf der Polizeiwache. Ich hatte mich inzwischen beruhigt und wollte die Antwort nun wirklich wissen.
    »Ach, Simone … Ich hatte Angst vor der Verantwortung.«
    »Aber du bist doch sowieso mein Vater und hast die Verantwortung, ob du es mir nun erzählst oder nicht«, wandte ich ein.
    »Das stimmt«, gab mein Vater zu. »Aber, weißt du …« Und dann sagte er plötzlich nichts mehr. Brach mitten im Satz ab, gerade als es spannend wurde. Aber ich habe auch nicht weiter nachgefragt. Er liebte mich, das wusste ich. Das war das Wichtigste. Den Rest musste ich mir selbst irgendwie zusammenreimen. Wenn ein weibliches Wesen von einem Mann

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