Königskinder
Augen geöffnet wurden, dass ich endlich erfasste, was für eine widerliche Tat ich hier auszuführen half. Doch tatsächlich hinterließen die Papiere der Öko-Aktivisten wenig Eindruck bei mir. Eine Schildkrötenart weniger auf der Welt? Schade. Aber kein Weltuntergang. Und wer sagte denn, dass man die Viecher nicht wirklich umsiedeln konnte?
*
Drei Tage lang sondierten wir die Situation vor Ort, versuchten – zumeist vergeblich – irgendeinen der zuständigen Beamten oder Politiker zu sprechen, und ärgerten die Landvermesser in dem zu bebauenden Areal mit kleineren Sitzblockaden und dem kessen Klau und Umkippen der Landvermesserstäbe, die sie überall in den Boden rammten. Wir nervten sie, aber wir bewirkten nichts. Zudem hatte ich innerhalb der Gruppe völlig verschissen, da natürlich schon am ersten Tag herauskam, dass mein Spanisch kaum weiter reichte, als im Restaurant dafür zu sorgen, dass für die Vegetarier Daniel und Astrid weder Huhn noch Fisch in die Gemüsepfannen gehauen wurden. Das Dolmetschen hat dann Juan erledigt. Obwohl es ziemlich kompliziert war, alles erst einmal aus dem Deutschen ins Englische zu übersetzen (Leonard kam aus Halle und hatte in der Schule nur Russisch gehabt), von da aus ins Spanische und dann in zwei Schritten wieder zurück.
Stinkwütend ob meiner dreisten Fremdsprachen-Lüge und erschwert durch die Tatsache, dass Juan und ich unsere nicht gerade heimliche Romanze begonnen hatten, galt ich als fünftes Rad am Wagen. Ich war für meine Mitstreiter bloß die dumme Tussi, die sich nur bei dieser Aktion eingeklinkt hatte, um einen kostenlosen Tropenurlaub zu machen. Ich schämte mich ein wenig, weil dieser Vorwurf ja nicht völlig aus der Luft gegriffen war. Andererseits war ich aber auch ein bisschen beleidigt, da ich durchaus ein paar konstruktive Beiträge leistete. Ich hatte zum Beispiel herausgefunden, wo die Bauherren dieses Projekts residierten: Sie hatten sich in der Villa irgendeines Typen verschanzt, der laut Juan eine der schlimmsten USA-Marionetten im ganzen Land war.
Drei Tage, nachdem wir in Costa Rica eingetroffen waren, organisierten wir mit einer lokalen Umweltschutzgruppe und zahlreichen Fischern, die wegen des Hotelprojekts ebenfalls um ihre Lebensgrundlage bangten, eine Blockade des Anwesens. Da sich keines der deutschen Kapitalistenschweine bereit erklärt hatte, mit uns zu reden, beschlossen wir, sie beim Verlassen ihrer Festung abzufangen. Morgens um sieben zogen wir mit fast einhundert Menschen vor der Villa auf.
*
Ich erwachte durch Geschrei. Hinter der weißgetünchten Mauer erhoben sich Stimmen zu einem Sprechchor, den ich nicht verstand. Eine Stimme, die blechern und fordernd aus einem Megaphon dröhnte, skandierte etwas, Dutzende von Stimmen riefen es nach, wieder und wieder. Ich richtete mich im Bett auf, und brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass vor unserer Villa eine Demonstration stattfand. Ich gähnte, reckte mich und zog mich an.
Ich nahm die Demonstration, die ganz offensichtlich unserem Bauprojekt galt, mit Gelassenheit. So etwas war zu erwarten gewesen und es war das gute Recht der Krötenfreunde, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Costa Rica war ein demokratisches Land. Korrupt: ja. Aber keine Diktatur. Was mich überraschte, war nur, dass niemand uns vorher davon in Kenntnis gesetzt hatte. Musste man eine Demonstration in Costa Rica nicht anmelden?
Ich ging nach unten auf die Terrasse und erwartete, dass Walter und Dr. Winter dort bereits sitzen und frühstücken würden. Ich freute mich auf einen Kaffee. Der Kaffee in Costa Rica war – wen wundert’s – eine Klasse für sich. Doch als ich durch die Terrassentür ins Freie trat, traute ich meinen Augen nicht: Walter und Dr. Winter standen aufgeregt redend und wild gestikulierend mit einem halben Dutzend Männern zusammen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie trugen alle Sonnenbrillen. Mindestens zwei von ihnen waren ganz offensichtlich keine Costa-Ricaner. Der eine war rothaarig, der andere blond.
Walter hatte einen erzürnt hochroten Kopf und rief etwas. Dr. Winter legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm, während er gleichzeitig dem Rothaarigen mit Nachdruck etwas zu erklären versuchte. Ich schaute hinüber zu dem kleinen Wachhaus und sah, dass statt eines halbwüchsigen Maschinenpistolen-Trägers dort nun gleich drei dieser Sorte standen. Jetzt wurde ich ernsthaft nervös.
»Was ist denn los?«, wollte ich wissen, als ich zu der Gruppe
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