Königsklingen (First Law - Band 3)
prickelten ... Und dann ging sie an ihm vorüber, so dass ihr Haar beinahe sein Gesicht streifte, und trat zu der Vitrine, öffnete eine Tür und nahm einen Dekanter heraus, während sie ihn auf dem Teppich gestrandet zurückließ.
Wortlos wie ein Narr sah er zu, wie sie zwei Gläser füllte und ihm eines hinhielt, wobei der Wein über den Rand schwappte und klebrig am Glas herunterrann. »Sie haben sich verändert.« Jezal fühlte plötzliche Scham, und seine Hand zuckte an sein Kinn, um instinktiv die Narbe am Kiefer zu verdecken. »Das meine ich nicht. Jedenfalls nicht nur. Alles. Sie sind irgendwie anders.«
»Ich ...« Die Macht, die sie über ihn besaß, war, wenn überhaupt, noch stärker als früher. Da hatte es das Gewicht der Erwartungen, die langen Tagträume und die Vorfreude in der Wildnis noch nicht gegeben. »Ich habe Sie vermisst.« Er sagte es, ohne nachzudenken, merkte dann, dass er rot wurde, und versuchte, das Thema zu wechseln. »Haben Sie von Ihrem Bruder gehört?«
»Er hat mir jede Woche geschrieben.« Sie warf den Kopf in den Nacken und leerte ihr Glas, dann füllte sie es wieder. »Jedenfalls, seit ich herausfand, dass er noch lebte.«
»Was?«
»Ich hielt ihn für tot, einen Monat lang oder noch länger. Er war gerade so eben einer Schlacht entronnen.«
»Es gab eine Schlacht?«, kiekste Jezal, erinnerte sich dann aber sofort, dass ja Krieg herrschte. Natürlich hatte es Schlachten geben müssen. Er brachte seine Stimme wieder in seine Gewalt. »Was für eine Schlacht?«
»Die, bei der Prinz Ladisla getötet wurde.«
»Ladisla ist tot?«, quietschte er nun, und wieder schoss seine Stimme in mädchenhafte Höhen. Er hatte den Kronprinzen nur wenige Male gesehen, und der Mann hatte stets einen derart selbstzentrierten Eindruck vermittelt, dass er unantastbar wirkte. Es war kaum vorstellbar, dass man ihn einfach so mit einem Schwert hatte erschlagen oder mit einem Pfeil erschießen können und dass er dann gestorben wäre wie jeder andere auch, aber so war es.
»Und dann wurde sein Bruder ermordet ...«
»Raynault? Ermordet?«
»In seinem Bett im Palast. Wenn der König stirbt, wird man durch eine Wahl im Offenen Rat einen neuen bestimmen.«
»Eine Wahl?« Jezals Stimme erklomm derartige Höhen, dass er ganz hinten in der Kehle beinahe ein wenig Erbrochenes spürte.
Sie schenkte sich bereits wieder nach. »Uthmans Botschafter wurde für den Mord gehenkt, obwohl er höchstwahrscheinlich unschuldig war, und deswegen schleppt sich der Krieg mit den Gurkhisen weiter dahin ...«
»Wir sind auch im Krieg mit den Gurkhisen?«
»Dagoska ist zu Beginn des Jahres gefallen.«
»Dagoska ... ist gefallen?« Jezal leerte sein Glas mit einem langen Schluck und starrte auf den Teppich, während er versuchte, all diese Neuigkeiten in seinem Kopf zu sortieren. Er hätte eigentlich nicht überrascht sein sollen, dass sich allerlei ereignet hatte, während er unterwegs gewesen war, aber dass die ganze Welt beinahe auf dem Kopf stand, hatte er nun doch nicht erwartet. Krieg mit den Gurkhisen, Schlachten im Norden, eine Wahl zur Ernennung des nächsten Königs?
»Brauchen Sie noch einen Schluck?«, fragte Ardee und schwenkte den Dekanter in ihrer Hand.
»Ich glaube, ich sollte noch einen nehmen, ja.« Große Ereignisse, natürlich, ganz wie Bayaz gesagt hatte. Er sah ihr beim Einschenken zu, wie sie angespannt und beinahe zornig beobachtete, wie der Wein aus der Öffnung gurgelte. Dabei entdeckte er eine kleine Narbe auf ihrer Oberlippe, die ihm noch nie zuvor aufgefallen war, und er spürte plötzlich das Verlangen, sie zu berühren, seine Finger in ihrem Haar zu versenken und sie an sich zu pressen. Große Ereignisse, aber sie erschienen ihm plötzlich unbedeutend im Vergleich zu dem, was hier, in diesem Zimmer, geschah. Wer konnte es voraussagen? Sein ganzes Leben mochte sich in den nächsten wenigen Augenblicken verändern, wenn er nur die rechten Worte finden und sich dazu überwinden könnte, sie zu sagen.
»Ich habe Sie wirklich vermisst«, brachte er hervor. Ein erbärmlicher Versuch, den sie mit einem verächtlichen Schnauben quittierte.
»Seien Sie nicht albern.«
Er griff nach ihrer Hand und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. »Ich war mein ganzes Leben lang albern. Aber jetzt nicht. Es gab Zeiten, dort draußen auf der Ebene, da mich nur eines am Leben hielt, nämlich der Gedanke, dass ... dass ich vielleicht wieder bei Ihnen sein würde. Jeden Tag wollte ich Sie wiedersehen ...«
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