Königsklingen (First Law - Band 3)
hätte. Er wirkte eingeschrumpft in seiner Uniform, wie er gebeugt und mit hängenden Schultern auf dem Pferd saß. Seine Bewegungen hatten ihre stählerne Präzision eingebüßt, und seine Augen blickten längst nicht mehr so eisig konzentriert wie früher. Stattdessen vermittelte er jetzt ein ganz klein wenig das Gefühl, als wüsste er nicht mehr, was zu tun sei.
»In Bogen wird immer noch gekämpft, Euer Majestät«, erklärte er, »aber wir halten den Bezirk nur noch gerade eben. Die Gurkhisen kontrollieren die Drei Höfe. Sie haben ihre Katapulte bis an den Kanal herangeschleppt und letzte Nacht erstmals Brandsätze bis weit ins Herz der Stadt geschleudert. Bis zum Mittenweg und noch weiter. Die Feuer brannten bis zum Morgen. In manchen Gegenden brennt es immer noch. Der Schaden ist ... beträchtlich.«
Eine heftige Untertreibung. Große Bereiche der Stadt waren vom Feuer verwüstet. Ganze Straßenzüge, in denen, wie Jezal sich erinnerte, großartige Häuser gestanden hatten, belebte Tavernen und muntere Werkstätten, die jetzt nur noch schwarze Ruinen waren. Sie anzusehen war so erschreckend, als ob eine frühere Geliebte ihren Mund öffnete, um zwei Reihen verfaulter Zähne zu zeigen. Der Gestank von Rauch und Brand und Tod kratzte beständig in Jezals Kehle und hatte seine Stimme zu einem feierlichen Flüstern werden lassen.
In den noch immer schwelenden Ruinen eines Hauses suchte ein Mann herum, von Kopf bis Fuß mit Asche und Schmutz besudelt. Er hob den Kopf und starrte Jezal und seine Wachen an, als sie an ihm vorbeiritten.
»Wo ist mein Sohn?«, kreischte er plötzlich. »Wo ist mein Sohn?«
Jezal sah beflissen zur Seite und gab seinem Pferd ganz leicht die Sporen. Er wollte seinem Gewissen keine weiteren Waffen in die Hand geben, um ihn damit zu martern. Es war schon jetzt ausgesprochen gut gerüstet.
»Der Arnaultwall hält jedoch immer noch stand, Euer Majestät.« Varuz sprach entschieden lauter, als nötig gewesen wäre, und versuchte so vergeblich, die herzzerreißenden Schreie zu übertönen, die hinter ihnen über die Trümmer hallten. »Kein einziger gurkhisischer Soldat hat bisher auch nur einen Fuß in den mittleren Bezirk unserer Stadt gesetzt. Kein einziger.«
Jezal fragte sich, wie lange sie sich noch damit würden brüsten können. »Haben wir inzwischen Nachricht von Lord Marschall West erhalten?«, fragte er zum zweiten Mal in dieser Stunde und zum zehnten Mal an diesem Tag.
Varuz gab Jezal dieselbe Antwort, die er sicherlich noch zehn weitere Male an diesem Tag erhalten würde, bevor er in der Nacht wieder in unruhigen Schlaf fiel. »Es tut mir leid, Euer Majestät, aber wir sind beinahe völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Nachrichten durchdringen die gurkhisische Blockade nur sehr selten. Aber es hat vor der Küste Anglands heftige Stürme gegeben. Wir müssen der Möglichkeit ins Auge sehen, dass die Truppen mit Verspätung eintreffen werden.«
»So ein Pech«, brummte Bremer dan Gorst auf der anderen Seite. Seine schmalen Augen glitten unaufhörlich über die Ruinen und achteten auf jedes Anzeichen einer Bedrohung. Jezal kaute angespannt am salzigen Rest seines Daumennagels. An die letzten guten Nachrichten konnte er sich kaum noch erinnern. Stürme. Verspätungen. Selbst die Elemente schienen sich gegen sie verschworen zu haben.
Varuz trug wenig dazu bei, die Stimmung wieder zu heben. »Und jetzt ist auch noch eine Seuche im Agriont ausgebrochen. Eine schnell dahinraffende und gnadenlose Krankheit. Eine große Gruppe jener Bürger, für die Sie die Tore öffnen ließen, wurde ganz plötzlich davon befallen. Sie hat sich schon bis in den Palast ausgebreitet. Zwei Ritter der Wacht sind daran gestorben. Den einen Tag standen sie noch Wache am Tor wie üblich. Am nächsten lagen sie schon im Sarg. Ihre Körper verdorrten, ihre Zähne verfaulten, ihnen fielen die Haare aus. Die Leichen wurden verbrannt, aber es werden immer mehr Fälle bekannt. Die Ärzte haben so etwas noch nie zuvor gesehen und wissen nicht, wie sie der Krankheit begegnen können. Manche sagen, es sei ein Fluch der Gurkhisen.«
Jezal schluckte. Diese herrliche Stadt war über die Jahrhunderte von so vielen Händen erbaut worden, und nun reichten offenbar ein paar Wochen unter seiner klugen Herrschaft, um sie in eine verkohlte Ruine zu verwandeln. Seine stolzen Bürger waren größtenteils zu stinkenden Bettlern geworden, zu schreienden Verwundeten, zu klagenden Trauernden. Jedenfalls die, die nicht
Weitere Kostenlose Bücher