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Koenigsmoerder

Koenigsmoerder

Titel: Koenigsmoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Miller
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fleckiger Schatten. Eine bloße Andeutung. Wer in diesem Meer aus Bäumen lebte, konnte leicht vergessen, dass die Mauer überhaupt existierte.
    Sie wünschte, sie hätte es vergessen können.
    Der Geruch von verwesendem Mulch kitzelte sie in der Nase. Irgendwo links von ihr konnte sie Wasser tröpfeln hören. Um sich abzulenken, ließ sie den Blick über den dichter werdenden Wald um sie herum gleiten. Sie entdeckte einen leuchtend orangefarbenen Pilz auf einem herabgefallenen Baumstamm ‐
    Molchauge, gut zur Förderung der Konzentration ‐ und wünschte, sie könnte Veira bitten, den Karren anzuhalten. Molchaugen waren im Umland der Stadt schwer zu finden.
    Die Stadt. Sie war sechs lange Jahre ihr Zuhause gewesen, aber jetzt war sie ein Ort der Gefahr, den sie nie wieder aufsuchen konnte. Zumindest nicht, bis... Und immer vorausgesetzt, dass anschließend noch etwas übrig war, das man aufsuchen konnte. War ihre Abwesenheit bereits bemerkt worden? Hatte irgendjemand Alarm geschlagen? Suchten sie bereits nach ihr? Nun, sollten sie suchen. Sollten sie in der Stadt das Oberste zuunterst kehren. Sie würden keinen Hinweis finden, der ihnen half. Keine verräterische Spur von Brotkrumen. Sie war entkommen. Sie war in Sicherheit.
    Sie hatte Asher im Stich gelassen.
    Der Wald um sie herum verschwamm, und sie rieb sich das Gesicht. Falls Veira es sah, verlor sie keine Bemerkung darüber. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Pony und der gewundenen Straße vor ihnen. Dathne zog sich den Mantel fester um die Rippen. Sie
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    fragte sich, was aus ihrer Buchhandlung werden würde, dieser bequemen Fassade, die sie entgegen ihrer Absicht zu lieben gelernt hatte. Was mochte aus all den Sachen in ihrer winzigen Wohnung über dem Laden werden? Veiras Befehl gehorchend, hatte sie nur die Dinge mitgenommen, die Verdacht wecken konnten. Ihren Zirkelstein. Ihre Oriswurzel, die Tanalblätter und andere Kräuter und Heilpflanzen, die man im Allgemeinen nicht in einer olkischen Speisekammer fand. Außerdem einige notwendige Kleidungsstücke. Eine Libelle in Bernstein, die Asher ihr am ersten Großen Barlstag nach seiner Ankunft in Dorana geschenkt hatte.
    Sie spürte, wie ihr Herz stockte, und ballte die Hände auf dem Schoß zu Fäusten.
    Sie würde nicht an Asher denken.
    Veira räusperte sich. »Noch eine halbe Stunde, dann werden wir da sein«, sagte sie.
    Dathne nickte. »Gut.«
    Es war eigenartig, die Stimme der alten Frau laut zu hören ‐ ein freundliches und greifbares Geräusch ‐, nachdem sie über so lange Zeit nur von Geist zu Geist durch den Zirkelstein miteinander gesprochen hatten. Selbst ihr Anblick war ein Schock. In der Verbindung hatte sie jünger gewirkt. Glatter. Weniger runzelig.
    Veira, die sich ihrer forschenden Musterung bewusst war, kicherte atemlos und sah sie von der Seite an. »Ich habe dir gesagt, dass ich kein Ölgemälde bin, Kind.«
    Ihre Wangen wurden heiß. »Es tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein, ich...«
    Dathne hatte die Fingernägel so fest in ihr Fleisch gebohrt, dass nicht mehr viel fehlte, dass ihre Hände zu bluten beginnen würden. »Es tut mir leid.« Und es tat ihr nicht nur leid, dass sie die andere Frau angestarrt hatte. Alles tat ihr leid.
    »Ich weiß«, antwortete Veira und tätschelte ihr unter einer Decke verborgenes Knie.
    Sie blinzelte, um wieder klar sehen zu können. »Du hast Matt gewarnt? Er ist in Sicherheit?«
    »Er ist so sicher wie wir anderen auch«, erwiderte Veira.
    »Ich habe das sehr ungeschickt gemacht«, flüsterte Dathne und klemmte die Fäuste zwischen die Knie. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als sie sich auf Ashers Seite geschlagen hatte... »Ich
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    habe alles ungeschickt gemacht. Ich habe kein Recht mehr, Teil des Zirkels zu sein. Die Prophezeiung versagt, und es ist alles meine Schuld!«
    Im flackernden Schein der Fackeln war Veiras Gesichtsausdruck ein Rätsel. »Das weißt du nicht, Kind. Du solltest dir nicht vorgreifen. Diese Angelegenheit ist erst beendet, wenn die Mauer gefallen ist, und als ich das letzte Mal hingeschaut habe, stand sie noch.«
    »Dann sind wir nicht verloren? Das Königreich kann immer noch gerettet werden? Asher wird nicht...« Sie konnte den Satz nicht laut beenden. Wagte es nicht einmal, den Gedanken zu Ende zu denken.
    »Ich hoffe nicht«, sagte Veira schließlich. »Wir werden unser Bestes tun, um ihn zu retten. Obwohl ich fürchte, dass seine Rettung einen schrecklichen Preis fordern wird.«
    »Du hast einen

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