Können diese Augen lügen?
zwar nicht bezeichnen, aber man musste zumindest keine Angst mehr haben, am Boden kleben zu bleiben.
Drei Minuten vor eins klingelte Alex an der Tür. Joe schoss bellend die Treppe hinunter und jagte sofort wieder nach oben. Da ich bislang nur die Wimpern meines rechten Auges getuscht hatte, musste Alex einen Moment warten, bis ich salonfähig war. Er ließ mir eine volle Minute Zeit, bevor er erneut klingelte.
Als ich die Treppe hinunterlief, fiel mir auf, dass meine Socken nicht zueinanderpassten. Eine war schwarz, die andere blau. Aber da Alex nicht der Typ zu sein schien, der sich an solch kleinen Fehlgriffen störte, ließ ich sie an und öffnete die Tür.
Alex lehnte im Rahmen und schenkte mir ein Lächeln, das nur aus Zähnen bestand. Er trug eine dunkelblaue Baseballkappe, die seine Augen noch heller wirken ließ. Seine Jeans waren hellblau, verwaschen und mit alten Farbflecken übersät.
» Sie wären mir auch eine noch längere Wartezeit wert«, meinte er trocken. Die Haut um seine Augen legte sich in kleine Fältchen. Sein Lächeln wirkte freundlich und aufrichtig, und ich meinte, die Wärme, die es ausstrahlte, förmlich spüren zu können. Joe schob den Kopf unter seine Hand. » Hallo, alter Freund.« Alex bückte sich, bis er sich auf Augenhöhe mit ihm befand, und kraulte ihn hinter den Ohren. Joe wedelte mit Überschallgeschwindigkeit; sein Schwanz peitschte jedes Mal gegen meine Beine.
» Er mag Sie«, stellte ich überflüssigerweise fest. » Ich dachte immer, Hunde hassen Tierärzte.«
» Er hat eben einen guten Geschmack.« Alex zwinkerte mir zu. Er war der einzige Mensch, den ich kannte, bei dem ein Zwinkern nicht anzüglich, sondern ganz natürlich wirkte. » Ziehen Sie Ihre Schuhe an, dann können wir los.«
Ich wartete, aber er machte keine Bemerkung über meine Socken. Rasch schlüpfte ich in meine Turnschuhe. Warum hatte ich bloß nicht daran gedacht, ein Paar Schuhe auszusuchen, die mir ein bisschen Sex-Appeal verliehen oder zumindest keine zehn Jahre alt waren und auch so aussahen. Als ich mich bückte, um die schmutzigen Schnürsenkel zuzubinden, fiel mir auf, dass Alex’ Stiefel abgewetzt und wie seine Jeans mit Farbe bespritzt waren.
» Was haben Sie denn gestrichen?« Ich richtete mich auf.
» Bitte?«
Ich deutete wortlos auf seine Stiefel.
» Ach, alles Mögliche«, erwiderte er. » Mein Büro, den Werkzeugschuppen von meinem Dad, und das Blau hier…«, er hob den Fuß und drehte ihn zur Seite, » …das stammt von einem Bücherregal, das ich für meine Oma frisch gestrichen habe. Ich habe die Dose umgeworfen, und die Farbe hat sich in der ganzen Garage verteilt.« Er lachte. » Ich sollte mir mal neue Stiefel zulegen, aber diese sind so schön bequem, ich kann mich einfach nicht von ihnen trennen.«
» Verstehe. Meine Turnschuhe sind auch schon zehn Jahre alt.« Etwas von meiner Verlegenheit schwand.
» Sehen Sie? Es geht doch nichts über ausgetretene Schuhe.«
Wir gingen zu seinem Pick-up. Alex öffnete für Joe die Beifahrertür, lief um den Wagen herum und glitt auf den Fahrersitz. Joe saß zwischen uns auf der Vorderbank und leckte Alex über die Wange.
» Danke, Kumpel, aber ich habe mich schon gewaschen.« Alex wischte sich lachend das Gesicht ab. Dann rieb er Joes Kopf, bis das Fell sich aufstellte wie bei einem Mini-Mohawk.
Wir lachten über Joes neue Punkfrisur. Ich mochte Alex’ Lachen. Es gefiel mir auch, mit ihm und Joe auf der Vorderbank seines Pick-ups zu sitzen, als wären wir eine kleine Familie. Aber ich bemühte mich sofort, meinen sich vergaloppierenden Gedanken Einhalt zu gebieten. Wir führten nur den Hund spazieren. Es war sehr gut möglich, dass nicht mehr dahintersteckte. All die Jahre, in denen ich darauf gehofft hatte, jeder Klaps auf den Rücken, den Peter mir gab, jedes Armtätscheln und jeder vielsagende Blick würden bedeuten, dass er in mir mehr als nur eine gute Freundin sah, hatten meinen Glauben daran, jemand könne sich wirklich ernsthaft in mich verlieben, stark erschüttert. Daher wurde ich, obwohl ich jede Minute mit Alex genoss, das Gefühl nicht los, er könne vielleicht nur Mitleid mit mir haben, mit dieser pathetischen Frau, die sich betrunken und dann einen Hund im Internet gekauft hatte. Vielleicht hielt er mich für eine Versagerin auf ganzer Linie und gehörte zu diesen missionarisch veranlagten Typen, die sich berufen fühlten, in solchen Fällen helfend einzuspringen. Vielleicht war er auch ein Hundefanatiker, der
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