Köpfe für Carlita
ein Gedanke, eine Idee, die mir beinahe die Luft abschnürte. War das Carlita Moreno, oder war es die Frau vom Gemälde, die es geschafft hatte herauszusteigen?
Ich wußte es nicht, ich war völlig verunsichert. Hinzu kam mein nicht eben beneidenswerter Zustand, da quälten mich schon die Schmerzen im Kopf, und sie erschwerten das Denken.
Nein, sie war es nicht!
Nach dem zweiten Hinschauen hatte ich die Veränderung herausgefunden. Diese Carlita hielt zwar das mächtige Killerbeil fest, aber der Schädel, den die Person auf dem Bild an den Haaren umfaßt hatte, fehlte. Und noch etwas hatte sich verändert. Im Gürtel dieser Person steckte ein langes Kampfschwert. Ansonsten sah sie gleich aus, denn auch in der Kleidung hatte sie sich angepaßt. Unterschiede jedenfalls konnte ich beim besten Willen nicht feststellen.
Carlita Moreno verzichtete darauf, mich anzusprechen. Sie starrte nur auf mich herab, und in ihren dunklen Pupillen tanzte der rötliche Widerschein des Fackelfeuers. So wie sie auf der Stelle stand, war sie eine Person, die alles beherrschte. Die Königin dieser Welt, die wohl noch nie ein natürliches Licht gesehen hatte.
Mir war es gelungen, einen Teil der Umgebung zu erforschen, und ich hatte gesehen, wie das Licht der Fackel über Felswände strich, wie ich sie von irgendwelchen Stollen und Höhlen her kannte, und mir war nun klar, wo ich mich befand.
»Endlich«, sagte sie. »Endlich bist du erwacht, Sinclair. Und zwar genau dort, wo ich es haben wollte.« Anscheinend wartete sie auf meine Antwort, auf die jedoch mußte Carlita verzichten, denn meine Kehle kam mir stark verengt vor. Ich war kaum in der Lage, ein Wort herauszubringen, und wenn doch, so wie jetzt, dann mußte ich krächzen und war kaum zu verstehen.
Mein toller Kollege lachte nur, bevor er sagte: »Der hat einiges abbekommen.«
»Aber er ist wach.«
»Richtig.«
»Also wird er seinen Tod bei vollem Bewußtsein erleben.«
Genau darauf hatte ich gewartet oder nicht gewartet, es kam immer auf die Perspektive an. Allerdings hätte ich mir keine andere Lösung vorstellen können, denn aus Spaß hatte man mich nicht in dieses Gewölbe geschleppt. Wenn sie vom Tod sprach, bedeutete das für mich, daß ich geköpft werden sollte.
Obgleich es auf der Hand lag, aber dieser Gedanke sorgte schon dafür, daß mir das Atmen schwerfiel.
Ich hatte plötzlich eine zweite Haut auf der ersten bekommen, die mich umgab wie ein Spinnennetz.
Köpfen!
Bei Bewußtsein den Kopf abhacken!
Die Vorbereitung mitbekommen und die Todesangst. Die Verzweiflung, die einen Menschen in den Wahnsinn treiben kann.
Ein grausameres Schicksal konnte ich mir kaum vorstellen, und Carlita gab mir auch die Zeit, mich gedanklich näher damit zu befassen. Meine Schmerzen waren damit zurückgedrängt worden. Jetzt interessierte mich nur mehr die Zukunft, die für mich eigentlich schon Vergangenheit war.
Ich konnte auf keine Hilfe hoffen, denn der einzige, dem ich vertraut hatte, war ein Verräter. Er grinste mich über meine eigene Waffe hinweg an. Wissend und einverstanden.
»Warum?« flüsterte ich. »Warum gerade ich? Weshalb habt ihr euch die Mühe gemacht, mich von England her nach Spanien zu holen, um mich zu köpfen? Hättet ihr euch keinen anderen nehmen können, wie siebenmal zuvor auch?«
»Es ging nur um dich, Sinclair!«
»Was sagst du da?« Ich konnte diese Worte beim besten Willen nicht nachvollziehen.
»Ja, um dich«, wiederholte Sahnas. »Die anderen sieben Toten waren praktisch nur die Fassade. Du bist der einzige, der tatsächlich zählt, aber wir mußten einen Grund haben, um dich herzulocken. Deshalb haben wir diesen Weg beschritten.«
»Nein, das glaube ich nicht. Nein, nein…« Ich spürte die Schmerzen nicht mehr und verkrampfte innerlich. »Ihr hättet nach London kommen und mich dort köpfen können. Und weshalb mußten zuerst sieben Menschen sterben?«
»Es ist so bestimmt worden!« erklärte die Frau allgemein.
»Von wem?«
Ich erhielt nun eine genaue Antwort. »Du kennst sie, denn du hast sie auf dem Bild gesehen. Nur wenn ich die gleiche Anzahl von Köpfen erreiche, wie es Carlita de los Arrancha geschafft hat, werde ich in der Lage sein, mich mit ihr zu vereinen. Da löst sich aus der Vergangenheit ein Teil des Gefüges und trifft mit der Gegenwart zusammen. So werden die alte Carlita und ich eine Person. Das ist es, was ich meine. Deshalb der achte Kopf.«
Ich hatte begriffen, aber es stand noch eine sehr wichtige Frage
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