Koerper, Seele, Mensch
des mechanischen Modells des ›offenen‹ Systems mit den zwei Gliedern Ursache und Wirkung haben wir es mit dem dreigliedrigen Modell eines ›geschlossenen‹ Systems zu tun. Geschlossen heißt das dreigliedrige System deswegen, weil es niemandem wirklich gelingen kann, den Prozeß der Bedeutungserteilung in einem anderen Lebewesen zu erkennen und nachzuvollziehen. Dieses Erkennen ist in Wirklichkeit nur ein Interpretieren der Zeichen, die aus dem geschlossenen System heraustreten und für das Gegenüber sichtbar werden.Bei diesem Interpretationsvorgang kann man entweder das Richtige treffen (Passung) oder sich irren (Passungsstörung). Deswegen nennt man im Konstruktivismus das Gegenüber eine Black Box.
Im dreigliedrigen Modell hat das Vehikel als erstes Glied die Aufgabe, die Empfängerorgane des Organismus zu reizen. Der Interpretant als zweites Glied prägt dem Reiz eine Bedeutung auf, die als drittes Glied die Reaktion auslöst. Das Ganze entspricht einem kreisförmigen Geschehen, das man Funktionskreis nennt. In ihm ist die Produktion des ›Merkmals‹ Aufgabe der Sinnesorgane, die des ›Wirkmals‹ aber Aufgabe der Bewegungsorgane. Wenn wir die Tätigkeit der Sinnesorgane psychologisch, die der Bewegungsorgane aber physikalisch interpretieren, haben wir dieses kreisförmige Geschehen wieder in zwei nicht zusammenpassende Hälften auseinandergerissen und stecken erneut in der Dualismusfalle fest.
Was also den Unterschied zwischen der Schulmedizin und einer Humanmedizin ausmacht – oder den Unterschied zwischen dem zweigliedrigen Denkmodell der trivialen Maschine und dem dreigliedrigen –, ist die Bedeutungserteilung. Das ist die grundsätzlich neue Einstellung der Integrierten Medizin, die die individuelle Konstruktion von Wirklichkeit, das individuelle Zusammenspiel von trivialen und nicht-trivialen Vorgängen, die Bedeutungserteilung und die Zeichen mit Hilfe einer kunstvollen Verknüpfung von Konstruktivismus, Semiotik und Systemtheorie betrachtet. Und so hat das Rätselraten über das Placebo ein Ende, wenn man den einzigartigen, singulären, nicht wiederholbaren Vorgang der Bedeutungserteilung in dem Moment zu verstehen versucht, in dem er geschieht. Der Begriff Placebo wird überflüssig.
Diese Haltung ermöglicht auch einen interessanten Zugang zu einem weiteren Geheimnis in der Medizin: Warum gelingt der gleiche Eingriff das eine Mal, ein anderes Mal aber nicht? Warum heilt die eine Wunde beim ersten Anlauf, die andere nach Jahren noch nicht?
7. Wundheilung:
Gerinnungssystem oder Zeichensystem
Jeder Mensch hat eine Vorstellung davon, was eine Wunde ist. Jeder Mensch fürchtet sich davor, verwundet zu werden. Und es wird kaum jemanden geben, der nicht selbst schon eine Verletzung, eine Wunde erlitten hat. Aber was genau ist eine Wunde – von seelischen Wunden einmal abgesehen?
Den Vorgang der Wundheilung muß man schon fast als ein Wunder bezeichnen, auch wenn die »Wunde« sprachgeschichtlich gesehen nichts mit einem »Wunder« zu tun hat; das Adjektiv »wunt«, das erstmals im 9. Jahrhundert im Althochdeutschen auftaucht, ist wahrscheinlich eine Mischung aus dem altenglischen »waen« (eine durch einen Schlag verursachte Geschwulst oder Beule) und dem walisischen »gweint« (»ich durchbohrte«), so daß sich bis zum 16. Jahrhundert in der deutschen Sprache die Bedeutung von »wund« als »durch Schlagen verletzt« durchgesetzt hat. Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet man mit dem Wort Wunde jede offene Hautverletzung, unabhängig davon, ob sie zum Beispiel durch einen Schlag oder auf andere Art entstanden ist.
Neben den Wunden, die absichtlich, mit Bedacht und geplant gesetzt werden – nämlich bei Operationen –, gibt es auch diejenigen Wunden, die nur langsam oder gar nicht heilen, also chronisch sind (griechisch: chronikós – zeitlich langsam). Die chronischen Wunden entstehen durch eine Wundheilungsstörung. Eine ungestörte Wundheilung verläuft der chirurgischen Lehre zufolge in drei Phasen, die zeitlich überlappend ablaufen:
Das Wunder der Wundheilung
die exsudative (»herausfließende«) Phase vom 1. bis zum 3. Tag,
die proliferative (»wachsende, aufbauende«) Phase vom 2. bis etwa zum 20. Tag,
die reparative (»wiederherstellende«) Phase vom 3. Tag bis zum 6. Monat.
In der exsudativen Phase werden durch die Verletzung von Blutgefäßen Blutkörperchen aller Art in der Wunde angehäuft. Das Blutgerinnungssystem wird dadurch aktiviert. So kommt es zu einem lokalen
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