Kohärenz 01 - Black*Out
knurrte hörbar, als ihm der Geruch in die Nase stieg.
Ein graugrünes Militärzelt schien als eine Art Lebensmittellager genutzt zu werden: Eine Seite ließ sich nach oben rollen und festmachen. Ein totes Tier hing darin, mit den Hinterläufen an der Firststange aufgehängt und schon teilweise abgehäutet; ein Reh, soweit sich das noch erkennen ließ. Im Hintergrund standen zwei alte Kühlschränke, irgendwo hörte man ein Stromaggregat tuckern.
Ganz schön aufwendig für so eine Siedlung von Flüchtlingen – auch wenn alles andere eher nach Provisorium aussah und erahnen ließ, wie überhastet das Camp organisiert worden sein musste.
Auf seinem Weg von Mexiko die kalifornische Küste hinauf hatte Christopher eine Menge Campingplätze gesehen: Damit hatte dieses Lager keinerlei Ähnlichkeit. Hier gab es keine hoch technisierten Campingfahrzeuge, groß wie Reisebusse, keine mit Gartenzwergen und Lichterketten verzierten Superzelte. Er sah nur grüne oder tarnfarbene Zelte aus Militärbeständen, ein paar kleine, schlichte Wohnwagen oder umgebaute Lastwagen und Tarnnetze, die in den Bäumen hingen. Es wirkte wie ein Lager versprengter Guerilleros.
Das Essen war einfach, schmeckte aber überraschend gut. Was sicher an der würzigen Waldluft lag oder daran, dass er den ganzen Tag nur Junkfood zu sich genommen hatte.
Den anderen schien es auch zu schmecken. Gesprochen wurde nicht viel, vermutlich, weil Neuankömmlinge in der Runde saßen. Fremde.
Oder zumindest ein Fremder: er. Christopher fragte sich, wie viel sie wussten, versuchte, es aus den Blicken herauszulesen, mit denen sie ihn ab und zu maßen.
Kyle gehörte dazu, das merkte man. Sie behandelten ihn als einen der ihren. Serenity kannten viele aus Zeiten, als sie ein Kind gewesen war; sie musste sich eine Menge weiterer Sprüche aus der Rubrik »Was bist du groß geworden« anhören.
»Die meisten kenne ich schon mein Leben lang«, erklärte Serenity ihm. »Manche haben zusammen mit Dad irgendwelche Projekte durchgezogen, und andere … Von denen weiß ich auch nicht, warum sie immer da waren; sie waren es eben. Freunde.«
»Schön«, sagte Christopher kauend. Seine Eltern hatten wenige Freunde gehabt. Nur Arbeitskollegen.
Und er selber? Mit seinen Klassenkameraden hatte er nicht viel anfangen können. Im Grunde war er auch immer alleine gewesen.
Irgendwie traurig.
Plötzlich – es begann schon, dunkel zu werden – kam Aufregung in die Runde, hoben sich Köpfe, war auf einmal allgemeine Erleichterung mit Händen zu greifen. Ein Mann kam aus dem Gebüsch, gefolgt von zwei Begleitern, ließ einen Rucksack und ein Gewehr von seiner Schulter sinken und trat in den Lichtkreis des Lagerfeuers.
Jeremiah Jones.
Der Vater von Kyle und Serenity sah völlig anders aus, als er ihn sich vorgestellt hatte. Auf den Fotos wirkte er älter, trug einen beeindruckenden Bart und hatte durchaus Ähnlichkeit mit alttestamentarischen Darstellungen von Propheten. Der Jeremiah Jones, wie ihn die Zeitungen und das Fernsehen gezeigt hatten, wäre eine tolle Besetzung für die Rolle des Moses gewesen.
Mittlerweile hatte er sein Äußeres drastisch verändert. Der Mann, der da im warmen Widerschein der Flammen stand, war schlank, geradezu drahtig, obwohl deutlich nicht mehr der Jüngste, und nahezu glatzköpfig. Er erinnerte eher an Captain Picard aus Raumschiff Enterprise als an Moses.
Serenity stellte ihren Blechteller beiseite, wirkte einen Moment lang unsicher, ob sie sich überhaupt bemerkbar machen sollte. Dann fiel Jeremiahs Blick auf sie und ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Sie sprang auf, rannte ihm entgegen und umarmte ihn stürmisch. Ihr Vater schien sich zu freuen, sie zu sehen – doch zugleich war ihm auch Sorge um sie anzumerken.
»Und das ist also der junge Mann, den ihr mitgebracht habt«, sagte Jones, als er, den Arm immer noch um die Schultern seiner Tochter gelegt, das Feuer umrundete.
Christopher stand auf, fühlte sich linkisch und unbeholfen unter all den Blicken, die in diesem Moment auf ihm ruhten. Er schüttelte die ausgestreckte Hand. »Christopher«, sagte er leise. »Ich heiße Christopher Kidd.«
Jones nickte. »Wir müssen dringend reden, glaube ich.« Er legte Christopher die Hand auf die Schulter. »Nach dem Essen.«
36 | Nach dem Essen wurde das Geschirr eingesammelt. Ein paar Männer machten sich an den Abwasch, mit Wasser aus dem See, das zuvor in anderen Töpfen über dem Feuer heiß gemacht worden war. Neues
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