Kohärenz 01 - Black*Out
redete.
»Das ist schwer zu erklären. Es ist nicht so, als würde man mit einem Haufen anderer Leute zusammengesperrt. Man ist mit allen verbunden, ja, man sieht durch ihre Augen, hört durch ihre Ohren und so weiter … aber auf eine seltsame Weise hat man trotzdem das Gefühl, nur eine einzige Person zu sein. Die Kohärenz eben. Du wirst zur Kohärenz. Jeder wird zur Kohärenz. Man ist allein und viele zugleich …« Das klang alles bizarr, sogar in seinen eigenen Ohren. Bestenfalls wie fader Trost. »Jedenfalls ist es kein Ende.«
Serenity musterte ihn mit ihren gelbbraunen Augen, die aussahen wie Edelsteine. »Na toll«, sagte sie. »Das heißt, wenn eines Tages alle Menschen in der Kohärenz aufgegangen sind, gibt es nur noch einen einzigen Geist, der durch alle Augen sieht und durch alle Ohren hört und so weiter, der aber trotzdem absolut einsam ist. Wenn das kein Ende ist, dann weiß ich auch nicht.«
Christopher seufzte. Das war ja alles richtig. Aber sie tat gerade so, als sei das seine Schuld!
»Der Punkt ist«, versuchte er es noch einmal, »dass ich keine blasse Ahnung habe, wie man diese Entwicklung aufhalten könnte. Schon dass ich der Kohärenz entkommen bin, ist ein Wunder. Ich hatte ungeheuer viel Glück, und ein zweites Mal würde ich es garantiert nicht schaffen.« Er hob die Hände, ließ sie fallen. »Ich weiß nicht, was man tun kann. Schlicht und einfach.«
Serenitys Vater mischte sich wieder ein. »Das musst du auch nicht«, erklärte er. »Wichtig ist erst einmal, trotz allem nicht aufzugeben.«
»Ich habe nicht aufgegeben.« Er wunderte sich selbst, wie scharf seine Stimme auf einmal klang. »Ich habe nur die Realität akzeptiert.«
Jeremiah Jones schüttelte bedächtig den kahlen Schädel. »Das darf man manchmal nicht. Denn sobald man überzeugt ist, dass es für ein Problem keine Lösung gibt, wird man auch keine finden – selbst wenn doch eine existieren sollte.«
Christopher hätte fast mit den Augen gerollt. Mann! Da bliesen sie ihm immer ins Ohr von wegen »Computer Kid« und »Legende« und »bester Hacker der Welt«, aber im Grunde hielten sie ihn doch nur für einen dummen Teenager, oder?
Er stellte den Teller zurück auf den Boden. »Ich war ziemlich lange unterwegs«, erklärte er, »und ich habe eine Menge Zeit gehabt nachzudenken. Glauben Sie, ich habe nur Kreuzworträtsel gelöst?«
Jones lächelte milde. »Ich glaube, dass du unter Schock gestanden hast. Ich jedenfalls wäre nach derartigen Erlebnissen völlig gelähmt gewesen – wäre es immer noch.« Er hob die Hand, ballte sie zur Faust. »Aber ich bin überzeugt davon, dass du eine Lösung finden kannst, sobald du den Entschluss dazu fasst. Sobald du glauben kannst, dass es eine Lösung gibt, wirst du sie auch finden. Und ich gehe ja nicht davon aus, dass du die Kohärenz allein besiegen sollst, während wir uns gemütlich zurücklehnen und darauf warten, dass wir dir applaudieren können. Ich stelle mir das durchaus als gemeinsame Aktion vor. Schließlich ist die Kohärenz auch hinter uns her.«
Christopher wollte etwas erwidern, etwas Harsches, Entschiedenes, und dann aufstehen und gehen, doch in dem Augenblick beugte sich Serenity vor, legte ihm ihre Hand auf den Arm und sagte: »Bitte!«
Ungefähr einen Herzschlag lang standen alle seine Gedanken einfach still.
Und ehe sie wieder in Gang gekommen waren, hörte er sich sagen: »Okay.«
57 | Serenity zuckte zusammen, als Christopher ruckartig seinen Arm wegzog, aufstand und sagte: »Ich muss nachdenken.« Dann drehte er sich um und stapfte davon.
Hilflos blickte sie ihren Vater an. »Was war das jetzt?«
Dad hob die Schultern. »Er hat ›okay‹ gesagt. Lass ihn.«
Sie sah Christopher nach. Er wirkte auf einmal wie ein Schlafwandler.
Dr. Connery war ihrem Blick gefolgt. »Er ist etwas Besonderes«, sagte er leise. »Das habe ich schon damals gedacht, als er zusammen mit seinem Vater bei mir im Labor gesessen hat. Er konnte alles um sich herum ausblenden, wenn er ins Programmieren versunken war. Einmal hat jemand einen Wagen mit fünf Dutzend Zellproben umgeworfen, ein Krach, als ob eine Glasfabrik in sich zusammenfällt. Er hat das nicht einmal mitbekommen.«
»An irgendetwas muss es ja liegen«, sagte Dad. »Dass er ein so guter Hacker ist, meine ich. Ohne ein außergewöhnliches Konzentrationsvermögen geht so etwas sicher nicht.«
Serenity sah auf ihre Hand hinab, die Hand, mit der sie Christopher angefasst hatte. Was hatte sie erwartet,
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