Kohärenz 01 - Black*Out
dass er tun würde? Sie wusste es nicht. Im Grunde ließ das, was er erzählt hatte, überhaupt keinen Spielraum, keinen Ausweg, kein Entkommen. Ihr war nur wieder eingefallen, wie er sie vor den angreifenden Hubschraubern gerettet hatte, und einen Moment lang hatte sie geglaubt, er sei ein Superman, jemand, der über Fähigkeiten verfügte, die sonst niemand besaß.
Doch was das sein sollte, das wusste sie auch nicht.
Außerdem waren Hubschrauber eine Sache – eine relativ überschaubare Gefahr –, die Kohärenz dagegen, dieses seltsame, kaum vorstellbare Gebilde aus miteinander verbundenen Gehirnen, die dieselben Gedanken teilen konnten … Das war etwas völlig anderes.
Vom Versorgungszelt her waren auf einmal aufgeregte Stimmen zu hören. Serenity sah hoch. Rus kam zu ihnen ans Feuer.
»Ist etwas passiert?« Dad stand auf.
Rus nickte. »Der Stromgenerator ist mal wieder ausgefallen. Und diesmal scheint gutes Zureden nicht zu helfen.«
»Großartig«, sagte Dad. Es klang beinahe begeistert.
Serenity folgte den beiden Männern hinüber zum Versorgungszelt, wo die Geräte aufgestellt waren. Dort bildeten schon eine ganze Anzahl Leute einen lockeren Kreis um einen dicklichen Mann mit Halbglatze, der mitten auf dem Boden saß, die Einzelteile des zerlegten Generators um sich herum.
»Wie sieht’s aus, Nick?«, fragte Dad den Mann, der eine Jacke mit ungefähr hundert Taschen voller Werkzeuge trug.
Nick blickte von einem Bauteil zum anderen, als hoffe er, eines davon werde ihm die richtige Antwort zuflüstern, machte ein paar zischelnde Geräusche mit dem Mund, ehe er sagte: »Also, da werde ich ein schönes Stück fahren müssen, um die Ersatzteile zu kriegen.«
Dad nickte und sah nicht aus, als störe ihn das auch nur im Geringsten. »Okay«, entschied er. »Dann fahr mal. Wir kommen hier schon eine Weile zurecht. Oder?«, fragte er, an die Umstehenden gewandt.
Einer aus der Runde grinste schief und meinte: »Na klar. Das gefällt dir natürlich wieder.«
Jetzt erst begriff Serenity, dass ihrem Vater diese Situation tatsächlich gefiel. Für einen Moment fragte sie sich, ob es daran lag, dass er nach Christophers Enthüllungen erleichtert war, es mit einem handfesten Problem zu tun zu haben, das er in Angriff nehmen und lösen konnte.
Aber es war noch mehr als das. Serenity erinnerte sich, wie er ihr einmal von den ersten Camps erzählt hatte, die um ihn herum entstanden waren. Für Dad waren das Experimente gewesen: Er hatte herausfinden wollen, wie viel Technik man weglassen konnte, ohne deswegen schlecht zu leben. Er hatte herausfinden wollen, wie es sich anfühlte, auf den gewohnten Komfort, die gewohnten Hilfsmittel zu verzichten. Wie man ohne das alles zurechtkam.
Anfangs hatte er Freunde eingeladen, ihn bei diesen Experimenten zu begleiten, oder Studenten, mit denen er guten Kontakt hatte. Dann hatte er über seine Erfahrungen geschrieben – Artikel zuerst, später Bücher –, und nach und nach waren immer mehr Leute aufgetaucht, um mitzumachen.
»Wir übertreiben es mit der Technik«, hatte er ihr damals erklärt. »Technik an sich ist nichts Schlechtes, verstehst du? Schlecht ist, wenn wir uns davon abhängig machen. Schlecht ist, wenn wir zulassen zu verweichlichen, weil wir Dinge auf technischem Wege erledigen, die wir besser selber machen würden, mit eigenen Händen oder aus eigener Kraft. Schlecht ist, wenn wir Maschinen benutzen, um uns nicht anstrengen zu müssen – und wenn wir so verrückt sind, danach ins Fitnessstudio zu fahren, um uns dort anzustrengen!«
Von Anfang an hatte er den Kontakt zu Historikern gesucht, die die Lebensweise früherer Jahrhunderte erforschten, und zu Indianern, von denen manche altes Handwerk noch beherrschten. Er hatte klargestellt, dass es ihm nicht darum ging, nette Campingwochenenden zu verbringen, sondern um die Herausforderung des Verzichts. Leute, die das schon draufhatten – Überlebensspezialisten, die nur ein Messer und einen Feuerstein brauchten, um beliebig lange in der Wildnis zu überleben –, duldete er nur als Lehrkräfte. Dad wollte, dass sich ganz normale Großstädter, Schreibtischarbeiter und Couch-Potatoes dieser Erfahrung stellten.
»Technik ist wie eine warme Decke«, lautete einer seiner Sprüche, den Serenity allerdings nicht von ihm gehört, sondern in einem seiner frühen Artikel gelesen hatte. »Es ist ungesund, sich zu warm zuzudecken.«
Nun, ein Stück dieser Decke war ihnen durch den Ausfall des Generators jetzt
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