Kohärenz 02 - Hide*Out
George.
Der weiße Junge, der in den letzten Tagen zusehends noch weißer geworden war und inzwischen geradezu ausgebleicht wirkte, fuhr hoch, schaute sich hektisch atmend um, ließ seinen Blick über die Zeichnung irrlichtern, sah dann hoch zu ihm…
»Oh«, stieß er schlaftrunken hervor. »Ich bin eingeschlafen.«
»Genau«, bestätigte George. »Vielleicht wäre es besser, du legst dich drüben noch eine Weile hin.« Wäre auch nicht schlecht gewesen, Christopher hätte mal geduscht. In Jacks Büro stank es wie im Männerumkleideraum einer Turnhalle.
Christopher blinzelte, leckte sich über die trockenen Lippen, schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte er, den Blick schon wieder auf den Linien und Symbolen vor ihm. »Keine Zeit. Ich… ich glaube, ich verstehe jetzt, wie der Virus arbeitet. Da muss man erst mal draufkommen, es so zu machen.« Er tippte auf eine Stelle, die in Georges Augen nicht anders aussah als der Rest der Zeichnung: wirre schwarze Striche eben. »Hier. Er belegt diese Register dauerhaft. Dadurch verschiebt er den Programmzeiger so, dass aus Daten Sprungadressen werden. Extrem raffiniert. Aber riskant. Sehr riskant. Wer immer das ausgetüftelt hat, muss davon ausgegangen sein, dass man ihm nicht auf die Schliche kommt…«
Der Junge war ganz offensichtlich kurz vorm Überschnappen. Wahrscheinlich beherrschten er und seinesgleichen deshalb die Welt: Weil die Welt heutzutage auch kurz vorm Überschnappen war.
»Was heißt, wer immer das ausgetüftelt hat?«, hakte George nach. »Das kann doch bloß die Kohärenz gewesen sein, oder?«
»Ja, klar«, murmelte Christopher geistesabwesend, während er mit dem Finger an Linien entlangfuhr, die er gelb markiert hatte. »Aber die Kohärenz greift natürlich auf Fachwissen zu. Fachwissen, das in irgendeinem Kopf bereitstehen muss. Siehst du, hier…«
Er unterbrach sich mitten im Satz, seine Augen wurden riesig. »Unglaublich«, flüsterte er. »Dass ich das jetzt erst sehe. Das hieße ja…«
»Was? Was siehst du jetzt erst? Und was meinst du mit riskant?«
Christopher antwortete nicht. Er saß nur da und das Einzige, was sich bewegte, waren seine Augen, die den Schaltplan absuchten, nach Verbindungen, Ähnlichkeiten, was auch immer.
»Ich brauch noch ein bisschen«, flüsterte er schließlich, wie im Selbstgespräch. »Ich hab gerade was entdeckt, was ich aber erst noch mal nachprüfen muss. Weil – irgendwie kann ich das noch nicht richtig glauben…«
Mehr kam nicht. Man konnte zusehen, wie er in Welten verschwand, die normalen Menschen unverständlich bleiben würden. George gab es auf. Er zog die Tür leise hinter sich zu und ging duschen.
72 | Allmählich war Kyle es leid, immer im Auto zu schlafen. Auf die Dauer spürte er es im Rücken und das stundenlange Autofahren machte es nicht besser. Heute Morgen kam er sich richtiggehend alt vor, als er sich aus dem Wagen wälzte und ans Seeufer humpelte, um sich notdürftig zu waschen. Die Mädchen schliefen noch, also machte er so viel Lärm, wie er konnte. Warum sollten sie es besser haben?
Während er sich abtrocknete, fiel sein Blick auf ein Schild, das, an einen schräg im Boden steckenden Pflock genagelt, besagte: Waldbrandgefahr. Feuermachen strengstens verboten. Mindeststrafe 2000 Dollar.
Mist aber auch. Er brauchte seinen Morgenkaffee, sonst war er ungenießbar.
Also scheuchte er die beiden Teenagergören aus den Federn. Er ließ sie das Zelt einpacken, gewährte ihnen noch gnädige zehn Minuten für eine Katzenwäsche und ab ging es, zurück auf die Interstate-90, zum nächsten Frühstücks-Diner oder zum nächsten Rastplatz mit Feuerstelle, je nachdem, was sich zuerst auftreiben ließ.
Es wurde dann ein Rastplatz gute fünfzehn Meilen weiter und etwas abseits der Schnellstraße, mit Feuerstellen in Gestalt alter, riesengroßer Lastwagenfelgen, von jahrelangem Gebrauch verrußt und verrostet. Er machte Feuer in einer davon, und als er endlich seinen zerbeulten alten Kaffeepott auf das Gitter darüber stellen konnte und ihm der Duft kochenden Kaffees in die Nase stieg, fühlte er sich beinahe wieder mit der Welt versöhnt.
»Was meinst du, wann wir in Seattle sind?«, fragte Schwesterherz Serenity irgendwann.
Kyle nippte an seinem herrlich stark geratenen Kaffee und überschlug in Gedanken die Strecke, die sie noch vor sich hatten. Nicht ganz dreihundert Meilen, schätzte er. Er sah auf die Uhr. »Vielleicht so gegen drei Uhr«, meinte er.
»Und dann?«
»Suchen wir
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