Kohärenz 02 - Hide*Out
schweigend weiter. George sagte nichts, wie immer, Kyle redete halb laut mit sich selbst, murmelte Sätze vor sich hin wie »Hmm, hier müsste es abgehen« oder »Demnächst sollte – ah, da!« und dergleichen mehr, und Christopher wusste nicht, was er sagen sollte. Ein paarmal schaute er nach hinten; die Mädchen schienen sich gut zu amüsieren. Irgendwann machte Kyle das Radio an; heute störte es Christopher nicht. Countrymusik dudelte, ziemlich eintönig, und ein brummiger Ansager versuchte, Witze zu reißen, deren Pointe Christopher entging.
»Der hat den falschen Beruf«, brummte Kyle irgendwann und drehte weiter, auf der Suche nach einer anderen Station.
Kurz vor Mittag gerieten sie wieder aus dem Bereich des Mobilfunks. Das tat gut. Auch wenn er mit dem Chip zurechtkam: Es strengte auf die Dauer doch spürbar an, ihn kontrollieren zu müssen.
Sie nutzten die Gelegenheit und machten an einem Waldparkplatz Rast, wo sie den restlichen Proviant auspackten. Das Brot ging zur Neige; Kyle zählte sein Geld durch. »Wir müssen wohl oder übel noch einkaufen«, meinte er.
Christopher hatte unglaublichen Hunger, so sehr, dass ihm sogar das labberige Weißbrot schmeckte. Während er kaute, beobachtete er verstohlen Madonna, verfolgte, wie sie auf Serenity einredete, wie sie lachte, wie sie gestikulierte. Dass sie ihn geküsst hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf.
Noch nie hatte ihn ein Mädchen geküsst. Küssen, das war irgendwie immer nur was für andere gewesen, etwas, das mit ihm nichts zu tun hatte. Und nun war es ihm doch passiert. Er verstand bloß nicht so richtig, wieso ihm das keine Ruhe ließ.
Als ihr Blick zufällig in seine Richtung ging, sah er rasch weg, tat so, als interessiere er sich brennend für eine weiße Blume, die unweit des aus groben Balken gezimmerten Tisches wuchs.
Natürlich war es kein richtiger Kuss gewesen, nicht in dem Sinn, dass sie ihm damit ihre besondere Zuneigung ausdrücken hatte wollen. Er war ja sozusagen auch nicht bei sich gewesen; wenn er versuchte, sich den Moment ins Gedächtnis zurückzurufen, in dem ihre Lippen die seinen berührt hatten, dann wusste er nur, dass sie es getan hatte, aber nicht mehr, wie es sich angefühlt hatte. Nur, dass es irgendwie gut gewesen war. Aber das Erlebnis als solches schien nicht speicherbar zu sein.
Er nickte dankend, als Serenity ihm einen Fruchtjoghurt und einen Löffel anbot. Mann, er hätte fünf davon essen können. Es war fast, als sauge der Chip ihn aus.
Madonna beachtete ihn gar nicht. Er betrachtete sie wieder heimlich. Wie ihr Haar fiel, faszinierte ihn. Wie sie es ab und zu über ihre Schulter zurückwarf, wenn es sie störte: Das hatte etwas unglaublich Lässiges an sich. Er hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie ihn noch einmal geküsst hätte, und gleichzeitig wunderte er sich, wieso er das auf einmal wollte. Das war ihm doch früher immer total egal gewesen! Aber ja, er wollte es. Er verspürte richtiggehendes Verlangen danach. Wie brodelndes Wasser in seinem Inneren fühlte sich das an, dieser Wunsch.
Aber er hatte keine Ahnung, wie das passieren sollte. Er kannte sich mit Mädchen nicht aus, schon gar nicht mit solchen wie Madonna. Überhaupt hatte er Probleme mit allem, für das es kein Handbuch gab. Es war ihm auch schleierhaft, wie andere mit solchen Angelegenheiten zurechtkamen. Mädchen waren kein System, waren eher das Gegenteil davon, und folglich nützten ihm seine Hackerfähigkeiten auf diesem Gebiet absolut nichts.
Blieb dieser Kuss. Und sein eigentümlicher Wunsch danach, ihn zu wiederholen.
Ob das wohl gemeint war, wenn man davon sprach, jemand sei »verliebt«?
Er ließ sich diese Frage durch den Kopf gehen, während er den Deckel des Joghurts abzog, eine Fliege verscheuchte und den Löffel in die rötliche Masse in dem Becher eintauchte. War er verliebt in Madonna Two Eagles? Nein. Nicht wirklich. Er wollte einfach nur, dass sie ihn noch einmal küsste. Was sie vermutlich nicht tun würde, schon klar, aber das änderte nichts daran, dass er es sich eben wünschte.
Ganz ohne Zweifel war auch Madonna umgekehrt nicht verliebt in ihn. Sie nahm ihn nicht zur Kenntnis, ging völlig darin auf, Serenity irgendwelche Geschichten von irgendwelchen Leuten zu erzählen. Wenn er hier so saß und auf seinen Joghurtbecher hinabsah, hörte er nur Satzfetzen, die sich stark nach Klatsch und Tratsch anhörten. Absolut uninteressant. Doch wenn er den Blick hob und Madonna betrachtete, dann kam sie ihm vor wie ein
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