Kohärenz 03 - Time*Out
Chip, aber er ließ es. Unnötiges Aufsehen konnten sie nicht brauchen.
Erster Gang: an die Rezeption, um ihren Aufenthalt um eine weitere Nacht zu verlängern. Diesmal fragte Serenity, als er an den Tisch kam: »Wie lange reicht das Geld überhaupt?«
»Noch eine Weile.« Geld war nicht das Problem. Im Notfall konnte er mithilfe seines Chips Bankautomaten hacken, ein Trick, den er mehrmals angewandt hatte, als er mit George Angry Snake in Amerika unterwegs gewesen war. Aber danach würden sie den Ort wechseln müssen, also verbot sich das im Moment.
Er verstand auch nicht, warum der PentaByte-Man sich nicht meldete.
Oder besser gesagt: Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, warum er es nicht tat.
Vielleicht war er ja einfach nur verhindert. Vielleicht hatte er nicht geglaubt, dass sie es so schnell nach Frankreich schaffen würden. Es gab Dutzende solcher Vielleichts. Sie brauchten die Hoffnung noch nicht aufzugeben.
Wohin sollten sie noch gehen? Im Kunstmuseum waren sie gewesen, in jedem Saal. Von Kirchen hatten sie beide genug. Und wenn sie sich noch eine geschnitzte Fassade an einem Fachwerkhaus anschauten, würde Serenity vermutlich einen Schreikrampf kriegen.
Christopher schlug vor, einen Park anzusteuern. Es gab einen, der auf dem Stadtplan schön groß aussah und keine halbe Stunde vom Hotel entfernt lag.
»Okay«, meinte Serenity nur.
Und sagte nichts mehr, während sie dorthin pilgerten.
Was war los? Nahm sie ihm übel, dass er sie überredet hatte, Hide-Out zu verlassen? Hatte sie angefangen, ihn für einen Spinner zu halten, der einer Schimäre nachjagte? Hatte sie Angst, was aus ihnen wurde, falls der PentaByte-Man nicht auftauchte?
Er wusste nicht, was in ihr vorging. Das war das Problem. Und gerade verstand Christopher gut, wie man auf die Idee kommen konnte, Gehirne einfach miteinander zu verbinden, sodass jeder die Gedanken des anderen kannte. Würde das nicht alle Missverständnisse beseitigen, alle Probleme lösen, die Menschen im Zusammenleben hatten?
Eben nicht. Denn nichts anderes war, was die Kohärenz machte. Und wie das war, hatte er selber erlebt. Er wusste, was das bedeutete.
Offenbar war es für das menschliche Leben wesentlich, dass ein Inneres existierte, zu dem niemand Zugang hatte außer einem selbst. Vielleicht war es sogar dieses Innere, das das Selbst ausmachte. Und falls dem so war, dann war logischerweise ein ganz entscheidender Punkt für Beziehungen, was und wie viel man von seinem Inneren einem anderen Menschen zugänglich machte.
Darüber hatte Christopher in der letzten Nacht lange nachgedacht. Natürlich nicht, ohne dass ihm einfiel, wie George Angry Snake zu ihm gesagt hatte: »Du denkst zu viel.« Ja. Stimmte vermutlich. Aber Christopher hatte keine Ahnung, wie er die anstehenden Probleme ohne Nachdenken hätte lösen sollen. Dies war nicht die Zeit für Experimente. Er musste auf das zurückgreifen, was er konnte, und versuchen, damit zurechtzukommen.
Er war verliebt in Serenity. Er wusste nicht, ob sie diese Zuneigung erwiderte. Und er hatte keinerlei Erfahrung, wie man mit so einer Situation umging. Diese drei Tatsachen stellten ein Problem dar, aber gewiss kein sehr originelles, im Gegenteil: Zweifellos stand jeder Mensch irgendwann in seinem Leben vor genau demselben Problem.
Und da buchstäblich der Fortbestand der Menschheit davon abhing, dass Menschen dieses Problem seit Urzeiten irgendwie gelöst kriegten, konnte die Lösung nicht so schrecklich kompliziert sein.
Als sich Christopher das gesagt hatte, wurde ihm auch klar, wie diese Lösung aussah: Er musste Serenity sagen, wie es in ihm aussah. Der Gedanke, das zu tun, war unangenehm, aber warum eigentlich? Das, was er empfand, war auf jeden Fall da, ob er davon sprach oder nicht. Was immer er empfand, er empfand es eben, und niemand konnte ihm deswegen einen Vorwurf machen. Er tat kein Unrecht damit.
Also war das Unangenehme daran die Möglichkeit, auf Ablehnung zu stoßen. Das war eine reale Möglichkeit. Serenity hatte genau dasselbe Recht wie er, zu fühlen, was sie eben fühlte, und falls das etwas anderes war als das, was er hoffte, dann würde er das hinnehmen müssen. Es gab keinen Weg, sich davor zu schützen – außer dem, die Wahrheit im Ungewissen zu belassen. Doch das wiederum hätte bedeutet, die problematische Situation auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten.
Mit anderen Worten, was er tun musste, war, den Mut aufzubringen, sich der Sache zu stellen. Und das ergab ja
Weitere Kostenlose Bücher