Kohl des Zorns
scheußliches Quatschen wie von einer Riesenschnecke.
»O nein!« ächzte Omally. »Was ist das?«
»Beim Kribbeln in meinen Daumen!« Der Professor griff in seine Schublade und zog ein machtvolles Amulett hervor. Omally erschauerte in seinem heißen Fußbad. Selbst so dicht am Kamin verspürte er den eisigen Hauch, der durch seine Knochen fuhr. Die Schritte kamen näher und näher, ein unnatürliches, entsetzliches Geräusch. Der Professor drückte das Amulett gegen seine Brust. Omallys Augen wurden glasig, und auf seiner Stirn erschien kalter Schweiß. »Professor …«
Die langsamen Schritte erfüllten seinen Schädel. Näher, immer näher. Und dann waren sie heran und über ihnen. Etwas Dunkles, Furchtbares schlurfte in Sicht. Ein entsetzlicher Gestank erfüllte die Luft, als die Kreatur sich durch die offene Tür schob. Dicker Schleim troff von dem farblosen Gesicht, und das Ungeheuer hob eine tropfende Hand. Der Mund öffnete sich, und aus dem furchtbaren Rachen erklang eine Stimme.
»Hi, John«, sagte sie.
»Jim?« ächzte Omally mit gebrochener Stimme. »Jim, bist du das?«
Die Erscheinung trat in das professorale Arbeitszimmer und nickte mit algenbehangenem Kopf.
»Jim, du bist am Leben!« Omally sprang aus seinem Fußbad und fiel vor Pooley auf die Knie. »Du lebst, Jim!«
»Es war ziemlich knapp.«
»Dann hast du … hast du?«
»Hab’ ich was, John?«
»Hast du den Wettschein gerettet?«
Professor Slocombe vergrub das Gesicht in den Händen und stöhnte erschüttert.
Kapitel 20
Ein dünner, beständiger Nieselregen von der Sorte, die man ganz allgemein mit Bankfeiertagen oder Staatsbesuchen in Verbindung bringt, ging über einer Gemeinde nieder, die an einem akuten Fall des ›Morgen-danach‹-Syndroms litt.
Von der Stätte des nächtlichen Infernos stiegen dünne Nebelschwaden auf, und Inspektor Hovis stocherte hier und da mit seinem Stock auf der Suche nach Indizien in den Trümmern. Mehrere Konstabler standen herum, die Hände tief in den blauen Uniformtaschen vergraben, die Schultern eingezogen, scharrten mit den Füßen und dachten sehnsüchtig an ein Frühstück mit weichgekochten Eiern und eingelegtem Hering.
Hovis stocherte und stocherte. Die vier kurzen Stunden Schlaf, die er hinter sich hatte, waren alles andere als erholsam gewesen. Er hatte sich in seinem Bett gewälzt, während von allen Seiten Träume auf ihn eingestürmt waren. Vor seinem geistigen Auge waren Schlagzeilen entstanden:
TERRORISTEN SABOTIEREN
BRENTFORDER OLYMPISCHE SPIELE
POLIZEI SIEHT HILFLOS ZU,
WIE SPIELE IM BOMBENHAGEL
UNTERGEHEN!
STÜMPERHAFTER INSPEKTOR
ENTLASSEN!
Er war erst seit achtundvierzig Stunden in der Gemeinde, und jetzt schon hatte er sich den halben Stadtrat zum Feind gemacht, die Notstandsgesetze zitiert und war in einen Akt von internationalem Terrorismus verwickelt worden. Dieser verschlafene West Londoner Vorort stellte sich als genauso verschlafen heraus wie Beirut, Afghanistan, Libyen oder die Hamburger Hafenstraße zusammengenommen. Und er stand hier mitten in diesem heillosen Durcheinander und bemühte sich verzweifelt, seinen angekratzten Ruf zu wahren und sich in den Augen seiner Vorgesetzten und der beobachtenden Welt zu rehabilitieren! Das war alles viel zu viel. Was für ein verdammter Mist!
Am unteren Ende des stochernden Stocks blinkte plötzlich etwas Buntes. Hovis bückte sich, um es aufzuheben, und wischte die Asche ab. Ein Photo, zwar ein wenig angesengt an den Ecken, doch es war noch einwandfrei zu erkennen. Kodakcolor Gold.
Hovis untersuchte es voller Interesse. Es war ein Urlaubsschnappschuß, kein Zweifel. Ein dümmlich dreinblickender, rotgesichtiger Tourist mit einem Sombrero auf dem Kopf, der aus einer spanischen pouron Wein trank.
Die Augen des Inspektors verengten sich sekundenlang zu schmalen Schlitzen. Das war es! Das Indiz! Ein Schuß ins Blaue, ein Wink Gottes! Viele Leute hätten in diesem Photo alles mögliche erkannt (nun ja, vielleicht nicht viele, aber doch einige) — nicht so jedoch Inspektor Hovis. Er sah nur eins: das Gesicht eines geborenen Killers, eines Revolutionärs vom Range eines Pancho Villa. Das Gesicht des Staatsfeindes Nummer eins.
»Inspektor?« Die Stimme gehörte Konstabler Meek. »Was halten Sie davon, Sir?«
Hovis bahnte sich einen Weg durch die durchnäßte Asche und trat zu Meek. »Was haben Sie gefunden?«
»Sehen Sie selbst, Sir.« Der Konstabler deutete auf die Wand eines aufgerissenen Lagerhauses, das
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