Kohl, Walter
wie immer zu Abend gegessen und, wenn Vaters Zeitbudget
es erlaubte, eine Einladung zum gemeinsamen Fernsehen ausgesprochen, als sei
nichts geschehen.
Sei doch froh, dass die Leute kommen!
Unser
neues Haus in Ludwigshafen-Oggersheim war von einem gepflegten Garten umgeben
und hatte sogar einen kleinen Pool. Nun bekam ich auch ein eigenes Zimmer. Es
war groß, hell und bot mir ein Stück anheimelnder Privatheit, was ich sehr zu
schätzen wusste. All das bildete zunächst ein spürbares Gegengewicht zu den
Veränderungen, denen unsere Lebensumstände nun mehr und mehr unterworfen
werden sollten.
Aufgrund
des Umzugs im Herbst 1971 wechselte ich die Schule, und diesmal war mir das
Glück hold. Meine neue Lehrerin verstand mit der richtigen Mischung aus
Autorität und Güte souverän mit meiner besonderen Lage umzugehen. Sie bewies
ein feines pädagogisches Gespür, indem sie mich weder bevorzugte oder schonte,
noch mich, wie manche Lehrer, mit demonstrativer Härte behandelte. Sie nahm
mich auch nicht beiseite, um mich zu belehren, wie ich mich am besten zu
verhalten hätte. Im Gegenteil, sie besprach alles immer ganz offen vor der
Klasse, wenn es Probleme gab, ganz egal, wen es betraf. In meinen Augen war sie
eine geniale Pädagogin, die es auch schaffte, bei meinen Mitschülern die
Bereitschaft zu wecken, mich als einen der ihren zu akzeptieren.
Das allein
war eine enorme emotionale Erleichterung. Aber noch etwas geschah jetzt mit
mir, etwas sehr Wichtiges sogar, auch wenn es mir damals natürlich nicht klar
war. Diese Lehrerin war nicht nur eine ordnende Hand in meinem noch jungen
Leben. Sie hat mir darüber hinaus auch eine grundlegende Erfahrung ermöglicht,
ohne die ich heute, als Selbstständiger in der von der gegenwärtigen
Wirtschaftskrise besonders heftig durchgeschüttelten Automobilbranche, geradezu
aufgeschmissen wäre: Ich erfuhr, dass Lernen Spaß machen kann und welche
Befriedigung es verschafft, immer wieder etwas Neues hinzuzulernen. Die
Fähigkeit zu lebenslangem Lernen zu erwerben, ist eine Forderung, die in
Sonntagsreden gern besonders betont wird. Doch wie lernt man es, das Lernen -
und wie praktiziert man es ein Leben lang? Ich darf sagen, dass ich das Glück
hatte, an eine Lehrerin zu geraten, die mir diese Tür öffnete. Viel hätte nicht
mehr gefehlt, und alle Lust am Lernen wäre bei mir dadurch erstickt worden,
dass schon mein Schulweg zu einer Ochsentour gemacht wurde. Als Schüler bewegte
ich mich, und auch darin mag, wer will, eine Ironie des Schicksals sehen, auf
ähnlich schmalem Grat wie ein Kind aus prekären sozialen Verhältnissen. Wer
nicht hineinpasst in das soziale System Schule, wer dort wieder und wieder
aneckt, aus welchen Gründen auch immer, der wird irgendwann auch das Lernen
eher als Zumutung erleben denn als Einladung, die eigene Zukunft zu gestalten.
Gewisse
Spuren hatten meine Erfahrungen auf der vorigen Schule gleichwohl hinterlassen.
Ich dachte mit Unbehagen an zahlreiche Erlebnisse des Ausgegrenzt-Werdens
zurück. Auch wenn Lehrerin und Mitschüler es mir jetzt erleichterten, Kontakte
zu knüpfen, ließ ich doch Vorsicht walten. Ich war misstrauisch geworden, und
auch deshalb tat ich mich schwer damit, in einen neuen Freundeskreis aufgenommen
zu werden.
Doch da
gab es etwas, was meine Leidenschaft weckte und mich der Gemeinschaft
Gleichgesinnter förmlich in die Arme trieb: Fußball. Alle Kinder in meiner
Nachbarschaft spielten damals Fußball, sei es auf der Straße, auf dem Bolzplatz
oder wo sonst immer sich eine Freifläche anbot. Fußball stillte meinen
Bewegungsdrang, und er eröffnete mir einen Weg, unter Gleichaltrigen zu sein,
mich auch mit ihnen zu messen, ohne Vorbedingungen, die zu erfüllen ich ohnehin
keine Chance hatte. Gegen einen Ball zu treten und ihn so zu bearbeiten, dass
er macht, was man will, scheint den Drang zu dämpfen, andere Menschen so zu
bearbeiten, dass sie dem eigenen Wunschbild entsprechen.
Natürlich
war ich, wie fast jeder Pfälzer Bub, ein glühender Anhänger des 1. FC Kaiserslautern,
und mein heimlicher Traum war es, irgendwann als FCK-Profi ins Stadion auf dem
Betzenberg einzulaufen. Meine technischen Fertigkeiten mögen eher begrenzt
gewesen sein, doch ich machte dies durch körperlichen Einsatz wett. Damit
verschaffte ich mir einigen Respekt in unserer Straßenfußballer-Szene. Also
wollte ich irgendwann auch der Jugendabteilung des örtlichen Fußballklubs
beitreten, dessen Vereinsgelände sich bei den
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