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Kohl, Walter

Kohl, Walter

Titel: Kohl, Walter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leben oder gelebt werden
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die
Fahrzeit wie im Fluge verging und mich sogar das Genierliche unseres Auftritts
vorübergehend vergessen ließ.
    Neben mir,
in einer speziellen Halterung an der hinteren Seitentür, war eine
Maschinenpistole befestigt. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, dass ich
unbeobachtet war, griff ich zu. Nicht nur einmal, nein, viele Male. Ich kann
von mir behaupten, dass ich mir im Alter von zwölf Jahren selbst beibrachte,
wie man eine Heckler & Koch MP5/9 mm zerlegt und wieder zusammensetzt. Ohne
dass auf einen halben Meter Distanz irgendetwas davon bemerkt wurde! Nun gut,
irgendwann flog ich dann doch auf. Immerhin überzeugte mich die Reaktion
meiner beiden Begleiter, dass sie binnen Sekundenbruchteilen in einen
Betriebszustand zu wechseln vermochten, den man von seinen Leibwächtern wohl
als normal erwarten würde: den der vollen, ungeteilten Aufmerksamkeit. Jetzt
hatten wir drei also ein Geheimnis - und wurden nebenbei noch ganz gute
Freunde.
    Nach dem
Mittagessen und den Hausaufgaben waren Peter und ich mehr oder weniger
eingesperrt. Spielen konnten wir irgendwann praktisch nur noch im Haus, im
Garten und auf dem Nachbargrundstück, wo der nächste Polizist nie weiter als 15
bis 20 Meter entfernt war. Abends gab es Fernsehen, und dann hieß es »Ab ins
Bett!«. Jahrelang ging das so, in unserem »Sicherheitscamp mit öffentlichem
Schulanschluss«, wie wir es in einer Mischung aus Galgenhumor und Depression
nannten.
    Es war
unübersehbar, dass auch unsere Mutter stark unter unserer Einbunkerung litt,
und ihr muss klar geworden sein, dass dieser Zustand auf Dauer nicht haltbar sein
würde. Es musste etwas geschehen, und es geschah auch etwas, völlig
überraschend für uns Kinder. Jedenfalls stand eines Tages plötzlich ein
Lastwagen vor dem Haus, voll gepackt mit alten Brettern, Türen, Bohlen, Platten
und gebrauchten Büromöbeln. Mutter schien gar nicht überrascht, sie lotste den
Fahrer auf das leere Nachbargrundstück, und wie auf ein geheimes Kommando hin
halfen alle anwesenden Polizisten, abzuladen. Dieses Sammelsurium alter Sachen
war ein wahrer Schatz für uns Kinder, er stammte aus dem Sperrmüll, der beim
damaligen Umbau des Polizeipräsidiums Ludwigshafen anfiel. Peter und ich waren
baff, wir wussten nicht, wie uns geschah. Mutter erklärte mit vielwissendem
Lächeln, dass dies das Material für unseren künftigen Abenteuerspielplatz sei.
    Wir waren
selig. Wie von Geisterhand geschaffen, lagen im Nu auch Hämmer und Nägel,
Fuchsschwanz und Bügelsäge, Spaten und Schaufeln für uns bereit. Jetzt konnten
wir loslegen! Schnell einigten wir uns darauf, dass wir einen Turm bauen
würden.
    Schon nach
ein paar Tagen hatten miteinander vernagelte Pfosten, Bretter und Latten eine
solche Höhe erreicht, dass das ganze gewagte Bauwerk uns womöglich bald auf die
Köpfe gefallen wäre. So ergab sich endlich eine Gelegenheit für die
allgegenwärtige Polizei, ihren Wert für den Schutz unserer jungen Leben unter
Beweis zu stellen. Im letzten Moment wurden wir von den Männern aus der
Einsturzzone des fragilen Konstrukts verbannt. Mit Amtsmiene erklärten die
diensthabenden Beamten unseren Bau zum unvertretbaren Sicherheitsrisiko. Für
uns ein Drama, wir waren zutiefst entsetzt. Würde jetzt schon wieder alles
verboten werden?
    Doch da
ergriff einer der Beamten, ein freundlicher, schon etwas älterer Herr, die
Initiative. Herr Schneider war zunächst nur darum bemüht, Schlimmeres zu
verhüten, indem er sein Bestes gab, uns in verständlichen Worten in die Gesetze
von Schwerkraft und Statik einzuweihen. Wir aber interessierten uns nicht für
theoretische Erklärungen, sondern gingen ohne Zögern sofort wieder daran, weitere
praktische Erfahrung zu sammeln. Ob aus Fürsorglichkeit oder weil er selbst
Feuer gefangen hatte - jedenfalls ließ Herr Schneider uns damit nicht allein,
sondern er überzeugte uns davon, dass wir einen technischen Berater brauchten.
Als gelernter Schreiner erwies er sich in dieser Funktion als die optimale
Besetzung, zumal er neben seiner Fachkompetenz auch über erhebliches pädagogisches
Geschick verfügte. Wir gingen auf sein Angebot ein und begannen seinen
Anweisungen zu folgen. Unsere Baustelle erhielt neuen Schwung und galt nun
auch als »amtlich sicher«. Ja, es fanden sogar immer mehr Beamte Gründe für
einen Besuch unseres Turmbaus. Hier aber waren wir die Chefs
- und nur wir erteilten hier die Genehmigung zum
Mitmachen. Wie haben wir das genossen! Ob es sonst wohl noch Kinder

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