Kohl, Walter
mit mir passieren könnte.
Würden die
Terroristen dich erschießen? Entführen und in ein dunkles Verlies einsperren?
Quälen und foltern?
Mit
solchen Fragen alleingelassen zu werden, war eines meiner größten Probleme.
Die Gefahr erschien mir wie ein tiefer Abgrund in einem undurchdringlichen
Nebel. Da man seinen Rand nicht sehen konnte, wusste man nicht, welcher
Schritt der Schritt ins Leere sein würde. Ich hatte die Angst irgendwo tief in
meinem Innern eingesperrt, hinter einer dicken Mauer, an der alle Gedanken
abprallten. Ich hatte die konkrete Gestalt der Gefahr, die für mich ganz
persönlich gültige Form einer möglichen Katastrophe, konsequent verdrängt.
Ich wollte und durfte mich nicht damit beschäftigen, damit wenigstens in meinem
Innern eine halbwegs heile Welt fortbestehen konnte. Doch nun war der Moment
gekommen, da ich dem Terror der Situation ins Auge sehen musste.
Dieser Mann
ist gekommen, um mir dir zu sprechen.
Er ist extra für dich gekommen. Hör ihm genau zu.
Seltsam.
Für einen kurzen Moment verspürte ich so etwas wie Dankbarkeit. Endlich
befasste sich jemand konkret mit meinen wirklichen Problemen! Doch was der Mann
mir zu sagen hatte, war niederschmetternd, demütigend und verheerend für mich.
Und es war überhaupt kein Trost, dass er sich für mich ganz allein Zeit
genommen hatte. Seine Stimme schien von ganz weit her an mein Ohr zu dringen.
Dennoch verstand ich gut, sehr gut. Im Grunde hatte ich es schon längst
geahnt. Nun aber erfuhr ich es aus berufenem Munde, und noch ein paar Dinge
mehr, die gemein wehtaten.
Zunächst
machte er mir klar, dass ein möglicher Anschlag nicht meinem eigenen Leben
gelten würde, jedenfalls nicht direkt und sofort. Viel wahrscheinlicher sei,
dass ich zur Zielperson einer Entführung würde, damit die Terroristen ein
Druckmittel gegen die Regierung in die Hand bekämen. Es entstand eine Pause.
Der »Sohn vom
Kohl« - eine Geisel, um die Regierung zu erpressen. Und was wird die Polizei
machen? Ihn retten?
Als
Nächstes bekam ich in etwas schlichteren Worten nochmals zu hören, was vorher
schon der soldatisch wirkende Mann gesagt hatte. Dass der Staat sich nicht
erpressen lassen könne. Dass unter Umständen auch harte Entscheidungen
getroffen werden müssten. Dass niemand sich dabei wohlfühle, aber es müsse dann
nach klaren, verbindlichen Regeln vorgegangen werden. Regeln, die mit meinen
Eltern auch bereits abgesprochen seien. Diese Regeln sollte ich kennen und
verstehen.
Mutter, wo ist
jetzt deine Hand?
Nun also
die Regeln. Ich verstand, dass es um ein Geschäft ging. Um einen Tausch. Eine
Summe Geldes gegen mein Leben. Ich verstand auch, dass dies eine Art
Vergünstigung war, die man mir, weil ich noch ein Kind war, zugestehen würde.
Obwohl man wüsste, dass die Terroristen dies dem Staat als Schwäche auslegen
würden.
Haben das
meine Eltern für mich rausgeholt? Dann könnte ich also sicher sein, dass man
mich freikaufen würde?
Allerdings
... da sei noch etwas. Zu den Regeln gehöre auch, dass man den Terroristen
natürlich nicht jede beliebige finanzielle Forderung erfüllen könne. Das müsste
ich, das müsste meine ganze Familie verstehen. Erneute Pause.
Mein
Hals ist auf einmal ganz steif. Ich
will jetzt meiner Mutter ins Gesicht schauen, kann aber den Kopf nicht wenden.
Der Mann
atmete einmal tief durch, bevor er die Katze aus dem Sack ließ.
»Der
Höchstbetrag ist ...« - und jetzt schaute er meine Mutter an - »so bis maximal
fünf Millionen Mark.« Ein Preisschild auf meinem Leben!
An den
Rest des Gesprächs kann ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Nun
war der Tarif verkündet, eine finanzielle Höchstgrenze gezogen, jenseits derer
ich im Falle einer Entführung im Interesse der Bundesrepublik Deutschland zu
sterben hatte. Alles andere interessierte mich nicht mehr wirklich. Ich fühlte
mich als Ware in einem politischen Kampf, mit dem ich nichts zu tun hatte. Und
es ging ja eigentlich auch gar nicht um mich, es ging wieder einmal nur um den
»Sohn vom Kohl«. Was aber das Schlimmste war: Zwischen meine Eltern und mich
war ein schrecklicher Verdacht getreten. Scheinbar war die genaue Summe, gegen
die ich im schlimmsten Fall ausgetauscht werden konnte, auch meiner Mutter
nicht bekannt gewesen, aber in ihren Grundzügen waren die »Regeln«, die mir
verkündet worden waren, offensichtlich vorher auch mit ihr abgesprochen gewesen.
Mit meinem Vater sowieso, daran bestand für mich kein Zweifel.
Meinen
Eltern
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