Kohl, Walter
und Willen.
Und irgendwann begann ich konkrete Vorbereitungen zu treffen.
Meine
Widersprüchlichkeit kulminierte in dem Dialog zweier Stimmen in meinem Kopf.
Die eine sprach: Eh alles egal, was soll das alles noch? Sieh doch endlich ein,
du hast es vergeigt. Es ist kein Platz auf dieser Welt für Versager. Die
andere: Das kann's doch nicht gewesen sein! Wofür denn dann die ganze Arbeit,
die jahrelange Plackerei? War das alles umsonst? Hast du nichts gelernt oder
erworben, das jetzt helfen würde? Jetzt, wo du eine Lösung brauchst, sitzt du
nur rum und jammerst.
Je nach
Tagesform neigte ich mal zur einen, mal zur anderen Seite. Ich schloss
schließlich einen Kompromiss mit mir selbst:
Setz dir einen
Termin. Wenn du bis Weihnachten nichts findest, was dich weiterbringt, dann
mach es!
Dieser
Kompromiss hatte in meinem defätistischen Zustand den subjektiven Vorteil, dass
ich selbst nichts mehr zu entscheiden brauchte: Ich arbeitete einfach zwei verschiedenen
Schicksalskräften zu. Das befreite. Der selbstgemachte Druck war plötzlich weg.
Somit gab es auch einen objektiven Vorteil: Ich vermochte wieder den Kopf zu
heben und nach vorn zu schauen. Ich konnte offen sein für etwas Neues. Es hieß,
nach einer möglichen Zukunft zu suchen und gleichzeitig den eigenen Abgang
vorzubereiten.
Mental
hatte ich resigniert und war bereit, mich aufzugeben. Ich begann methodisch zu
überlegen und zu planen. Wie muss man sterben, damit die Lebensversicherung
ausgezahlt werden kann? Welche Art von Unfall ist die »richtige«? Wann und wie
soll es stattfinden, damit es unverdächtig ist? Sollte meine Leiche gefunden
werden oder nicht? Ja, sie musste gefunden werden, dafür entschied ich mich
nach gründlicher Recherche. Meine Überlegungen liefen auf einen Tod im Wasser
hinaus, denn das würde unverdächtig sein, schließlich war ich ein begeisterter
und erfahrener Taucher. Ich hatte genaue Vorstellungen, wie dieser »Unfall« zu
inszenieren sei, am besten in einem bestimmten strömungsreichen Bootstauchgang
weit vor der Küste im Roten Meer. Ich kaufte sogar eine neue Ausrüstung mit
nagelneuen, hochwertigen, technisch einwandfreien Lungenautomaten, mit Tauchcomputer
und Tarierweste, damit keinerlei Zweifel aufkommen würde, dass es ein Unfall
war. Meine Planungen wurden immer konkreter. Ich fixierte ein komplettes
Szenario, das ich kurzfristig »auslösen« konnte, einen Plan, der nur auf seine
Umsetzung wartete, so wie ich es als Controller und Reserveoffizier gelernt
hatte.
Das war mein
sogenannter Plan, doch mein Herz rebellierte. All diese theoretischen
Überlegungen kamen mir vor wie die Ausgeburt einer schrecklichen Krankheit.
Immer wenn ich mein Kind sah, stach es mir ins Herz. Wie konnte ich mich
einfach so davonstehlen? Da gab es einen Menschen, der mir bedingungslos
vertraute. Was würde aus ihm werden? Alles, was ich mit meiner Mutter erlebt
hatte, würde ich nun auch ihm zumuten. Das war unerträglich. Ich konnte doch
nicht einfach so sang- und klanglos abtreten! In mir stritten widersprüchliche
Stimmen, doch die Lösung kam plötzlich wie von allein.
Zusammen
sahen wir im August 2002 im Fernsehen einen Bericht über das katastrophale
Elbehochwasser. Mein Sohn war über die Bilder der Zerstörung und des Leids der
Menschen entsetzt und fragte mich, ob so etwas auch bei uns passieren könnte.
Ich erklärte ihm, dass bei uns ein Hochwasser aufgrund der Lage unseres Hauses
auf einem kleinen Hügel unmöglich sei. Doch die sachliche Erklärung schien ihm
nicht zu genügen, denn er schaute mich weiter mit großen, fragenden Augen an.
In diesem Moment übernahm mein Herz und ließ mich sagen:
»Du musst dir keine Sorgen machen, dein Papa ist immer für
dich da.«
Er
schenkte mir ein strahlendes Kinderlächeln voller Liebe und Vertrauen. In
dieser Sekunde wusste ich, dass ich nicht gehen würde. Meine Verpflichtungen
gegenüber anderen Menschen waren wertvoll, Vater zu sein schenkt Lebensinhalt
und Sinn. Nun war klar, dass ich mein Leben Schritt für Schritt neu aufbauen
müsste. Ich brauchte den Mut, um wieder Vertrauen und Liebe in mir zuzulassen,
auch wenn dies ein jahrelanger Weg werden sollte.
Mut zu neuen Wegen
»Ich liebe dich!«
Sie sagte
diese Worte ganz leise zu mir. Ich wandte den Kopf zur Seite.
»Ich liebe
dich!«
Sie
wiederholte es und nahm mein Gesicht fest in ihre Hände, zwang mich dazu, sie
anzusehen. Ich wich ihrem Blick aus, fühlte mich völlig überfordert. Wir
kannten uns schon eine
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