Kohlenstaub (German Edition)
Fünf-drei!«,
jubelte es. »Quatsch. Du hast gedreht. Das gilt nicht!«
»Wosab vor, noch
ein Tor!«, rief eine Jungenstimme. Fünf oder sechs Jugendliche hatten sich um
ein Tischfußballspiel im Gemeindehaus gruppiert.
Dieses Mal hatte
ich die Zeit gestoppt, die ich brauchte, um von meinem Pfarrhaus aus zum
Gemeindehaus zu gelangen. Durch den Westpark benötigte ich bei weit ausholenden
Schritten vierzehn Minuten. Ich ging davon aus, dass Jankewicz, falls er es
gewesen war, diesen kürzesten Weg genommen hatte, um Samstagnacht von meinem
Pfarrhaus zu Hannings Haus zu gelangen. Rechnete man eine Viertelstunde oder
etwas mehr für das, was er im Haus getan hatte, dazu, dann wäre er insgesamt
eine Dreiviertelstunde, vielleicht eine ganze Stunde fort gewesen. Ich
überlegte, wann ich an dem Abend das letzte Mal etwas von der Familie unter mir
gehört hatte. Um Viertel nach neun oder halb zehn? Jedenfalls kurz nachdem ich,
wie jedes Wochenende um die gleiche Zeit, den Psalm aufgesagt hatte. Zu Bett
gegangen war ich gegen halb elf. Kurz davor hatte ich unten noch einmal die Tür
klappern hören.
Jankewicz hätte in
der Zwischenzeit zu Hannings Haus gelangen können. Ich grübelte. Vielleicht war
er später noch einmal losgezogen, ohne dass ich es mitbekommen hatte?
»Zehn zu acht!
Gewonnen!«, rief in diesem Moment wieder dieselbe Jungenstimme. Auf der
Verliererseite erkannte ich Manni Jankewicz und seinen kräftig gebauten Freund.
Aus dem Lautsprecher ertönte englische Musik mit Gitarrenbegleitung.
»Ruhe!«, donnerte
da plötzlich eine Stimme. »Macht die Negermusik aus!«
Kruse stand in der
Tür und blickte um sich wie der Racheengel aus meinem Traum.
Ein junges Mädchen
mit buntem Rock zog schnell die Nadel vom Plattenspieler. Es ratschte.
»Holt die Bibeln
raus!«
Nur zögernd
wandten sich die Jungen vom Tischfußball ab, doch sie gehorchten. Nach und nach
ließen sie sich auf den Sitzgelegenheiten nieder: zwei Sofas, zwei Sessel und
einige Stühle, die für die Mädchen übrig blieben. Ich zählte zwölf Köpfe. Zu
meiner Überraschung holte Kruse eine Gitarre aus der Ecke und begann zu
spielen. Er intonierte ein Lied, das ich nicht kannte, und zupfte die passenden
Akkorde dazu. Die Jugendlichen stimmten ein. Es klang moderner, als ich es
meinem spießigen Kollegen mit den überheblichen Sprüchen zugetraut hätte.
Schließlich
standen zwei der Mädchen auf und holten Schalen mit Brot und Salzgebäck aus der
Küche. Dazu gab es Saft in Gläsern und Äpfel. »Wir essen gemeinsam, als Zeichen
der Verbundenheit«, erklärte Kruse. Er selbst griff einige Male zu, als die
Schale mit dem Salzgebäck kreiste.
»Ist das eine Art
Abendmahl?«, fragte ich erstaunt. Das kannte ich nur sonntags im Gottesdienst
vor dem Altar.
»Agapemahl«,
informierte mich der Kollege. »So ähnlich, aber in einer offenen Form. Das habe
ich auf dem Kirchentag kennengelernt.«
Ich rieb mir die
Augen. Kruse war ein Anhänger des Kirchentags?
Nach der kleinen
Mahlzeit verabschiedete sich der Kollege; ich tat es ihm gleich. Kaum waren wir
die wenigen Stufen zum Ausgang hinaufgestiegen, ertönte hinter uns wieder die
fremdsprachige Musik. »Sehen Sie«, sagte ich zu dem Kollegen, »kaum ist die
Katze weg, tanzen wieder die Mäuse!«
»Na, wenigstens
warten sie, bis die Katze weg ist. Sie gehorchen mir, wie sich das gehört.
Können Sie dasselbe auch von sich behaupten?«
War mir der
Kollege tatsächlich für einen Augenblick sympathisch gewesen? Ich wandte mich
ab.
»Schwester
Gerlach!«, rief er.
»Ja?«
»Ich warne Sie.
Mischen Sie sich nicht in Dinge ein, die Sie nichts angehen. Wir wollen nicht,
dass jemand hier im Dreck herumwühlt!«
Wütend marschierte
ich in der Dunkelheit durch den Westpark, zu wütend, um mich zu fürchten.
Deshalb brauchte ich noch weniger Zeit als die vierzehn Minuten, die ich auf
dem Hinweg gestoppt hatte.
»Koks!«, hörte ich
eine weibliche Stimme in der Nähe meines Pfarrhauses. »Koks, komm rein!« Da saß
doch wieder dieser fette schwarze Kater vor der Tür und hielt ein halbes Karnickel
im Maul! Stolz wie Oskar streckte er die Beute der Besitzerin der hellen Stimme
entgegen. Fräulein Kreuter streichelte das Fell des Jägers und zirpte: »Schön,
Koks, brav gemacht!«
Ich erwartete,
dass das Tier umdrehte und im dunklen Park verschwand. Stattdessen rieb es sich
an Fräulein Kreuters Beinen und maunzte.
Ich wollte schon
aufbegehren: »Das ist mein Haus. Katzen müssen draußen bleiben!«,
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